Raymond Thamin (1857-1933) : Memoiren des Rektors der Akademie von Bordeaux im Ersten Weltkrieg


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Wer als Historiker, sich in die Geschichte der juristischen Fakultät von Bordeaux während des Ersten Weltkriegs vertieft, begegnet unweigerlich eine charismatische und doch verkannte Figur, die dennoch eine wichtige öffentliche Persönlichkeit in der Geschichte der Dritten Republik war. Raymond Thamin, Rektor der Akademie von Bordeaux während des Ersten Weltkriegs, war ein brillanter Intellektueller mit einer außergewöhnlichen Karriere. Er studierte an der École normale supérieure (1877), wurde agrégé in Philosophie (1880) und erhielt die Doktorwürde in Literatur mit einer Dissertation über Den heiligen Ambrosius und die christliche Moral im 6. Jahrhundert (1896). Er wird Dozent an der Philosophischen Fakultät (1884) und Professor am Lycée Condorcet in Lyon (1894), Autor insbesondere eines Buches in der Philosophie der Pädagogik mit dem Titel „L ‘éducation et le positivisme“, das von der Akademie der Moral- und Politikwissenschaften gekrönt wurde, und einer „Sammlung von Auszügen französischer Moralisten“, die zu einem von allen Gymnasiasten bekannten Klassiker wurde. Später wird er Stellvertreter von Jean-Félix Nourrisson am Lehrstuhl für Geschichte der modernen Philosophie am Collège de France (1895 bis 1898) und dann Professor an der Sorbonne, nachdem er an die Académie française gewählt worden war, wo er den Sitz seines ehemaligen Lehrers Émile Boutroux übernahm. Neben seinem Leben als Lehrer und Gelehrter wird er auch hoher Beamter der Universität, zuerst als Rektor der Akademie von Rennes (1900) und dann von Bordeaux (1904), wo er 18 Jahre lang tätig ist, bevor er vom Bildungsminister Léon Bérard zum Direktor des Sekundarunterrichts in der Regierung des Bloc national (1922) berufen wird.

Die Funktion des Rektors, die er während des Krieges innehat, war von Napoleon kreiert worden, knapp nach Verabschiedung des Grundgesetzes vom 10. Mai 1806, das die Universität gründete. Aufgabe des Rektors ist es, die zentrale Macht zu vertreten und sich in den Dienst der erzieherischen und politischen Ambitionen des Kaisers in seinem Landkreis – der Akademie – zu stellen. Seine Aufgaben bestehen darin, an der Organisierung Fakultätsklausuren beizutragen, die Diplome auszustellen und die Berichte der Dekane, Lycée-Leiter und Hauptlehrer über den Zustand ihrer Einrichtung zur Kenntnis zu nehmen. Er leitet auch die Verwaltung, wacht über Disziplin und finanzielle Ausgaben und kontrolliert im Rahmen von Besuchen die Einrichtungen oder lässt sie von den Inspektoren der Akademie kontrollieren. Die Vorrechte des Rektors entwickeln sich dann mit den aufeinanderfolgenden Regimen, die Frankreich im 19. Jahrhundert erlebt. Während des Zweiten Kaiserreichs machte Napoleon III. die Hochschulbildung zu einem wichtigen Thema für die Rektoren. Das Rundschreiben vom 15. September 1854 betont diese Sonderstellung und wendet sich mit folgenden Worten an die Rektoren : „Sie stehen à der Spitze der Fakultäten, dessen Arbeiten Sie persönlich überwachen und deren kollegialen Sitzungen Sie leiten. Sie beteiligen sich an der Ausarbeitung der Lehrprogramme ; Sie nehmen, wann immer Sie es für angemessen halten, an ihren öffentlichen Handlungen teil […]. Diese ganz neue Position, die Ihnen mit diesem Gesetz gegeben worden ist, verpflichtet Ihnen, unermüdlich daran zu arbeiten, dieses Licht zu wahren, das Ihnen in Obhut übergeben wurde.

Nach der Eroberung der Dritten Republik durch die Republikaner im Jahr 1879 wurde der akademische Rat säkularisiert, indem Bischöfe, Priester, Präfekten und Mitglieder der Justiz, die bis dahin Mitglieder waren, ausgeschlossen wurden. Die Funktion des Rektors wird „republikanisiert“, und die meisten von ihnen sind jetzt ehemalige Hochschullehrer, die unaufhörlich, an die Werte der Freiheit und Gleichheit erinnern, die die republikanische Schule beleben müssen. Der Gesetz vom 10. Juli 1896 verankert die Rolle des Rektors in der Universität und macht ihm zum Präsidenten des Universitätsrates. Er wird vom Staat ernannt. Als Vormund des Entscheidungsorgans der Universität erscheint der aus seinen Reihen stammende Rektor jedoch als Verteidiger der Fakultäten, und obwohl er weiterhin für den reibungslosen Ablauf des Studiums, für die Einhaltung der offiziellen Texte, die Überprüfung des Haushaltsplans und der Rechnungslegung verantwortlich ist, versucht er, die Projekte der Lehrer durch seine Kontakte zu den regionalen und nationalen Eliten zu verwirklichen. Als Verteidiger seiner Akademie bei den Pariser Büros und nicht als Vertreter des Ministeriums, das in die Provinz entsandt wurde, spielt er eine wichtige Rolle bei der Modernisierung und Dynamisierung der Fakultäten. Mit seinen Vorrechten ist Raymond Thamin der Prototyp des Rektors, der die Projekte seiner Akademie bei der Zentralverwaltung verteidigen will. Er ist jedoch dem Prinzip der Laizität nicht gerade nah und vertritt konservative Positionen zugunsten einer von christlicher Moral und Traditionen geprägten Lehre.

Um das Denken dieses gelehrten Professors und Verwalters genauer zu erfassen, der nach den Worten des Begräbnislobs, das ihn ehrt, an der “moralischen und intellektuellen Erhebung der Jugend durch den Unterricht” arbeitete, muss der Ermittler dann in die Bibliographie von Raymond Thamin und in die Untersuchung der Werke, Zeitschriften und der zahlreichen Presseausschnitte eintauchen, in denen auf seine Beteiligung an sozialen Werken und an den zahlreichen akademischen und kulturellen Manifestationen hingewiesen wird, mit denen er verbunden ist. Diese Umfrage ermöglicht es, in die intellektuellen und politischen Kreise eines kosmopolitischen Bordeaux einzutreten, die Klassenzimmer und Hörsäle zu besuchen, in denen der Rektor Vorträge hält, Ausstellungen präsentiert oder als Mitglied einer Prüfungsjury sitzt. Die zwei von im veröffentlichten Büchern : “L’Université et la Guerre”(Die Universität und der Krieg, 1916) und die “Pédagogie de guerre” (Pädagogik im Krieg, 1920) geben uns Zugang zu Berichten und Überlegungen des Rektors aus Bordeaux. Beim Lesen dieser historischen Quellen, erscheint Raymond Thamin als hingebungsvoller Beamter, der seine Beredsamkeit, sein Wissen und seinen Glauben in die Kämpfe des Ersten Weltkriegs, genauer in die intellektuelle Front des „Kriegs des Rechts“ einbringt. Durch die Analyse der historischen Ereignisse anhand der Memoiren dieses Rektors soll dieser Artikel eine Vision dessen geben, was die Kämpfe der Akademie von Bordeaux während des Konflikts waren, um die Rolle der juristischen Fakultät im Rahmen einer Politik, die sie umfasst und übertrifft, besser zu beleuchten.

Als der Krieg ausbricht, ist Raymond Thamin bereits als Akademiker und eifriger Rektor nationaler und internationaler Rang anerkannt. Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten ist er dafür bekannt, dass er als erster in Frankreich, dank der Unterstützung von Professoren und Ärzten des Lokalen Komitee der Allianz für soziale Hygiene, zwei Schulen für „abnormale“ Kinder mit Verhaltensstörungen gründete. Sein Name taucht auch in der nationalen Presse auf, denn seine Funktion als Rektor führt dazu, dass er mit den höchsten Politikern zusammenarbeitet, darunter dem Präsidenten der Republik, als dieser 1907 im Süden kommt. Auch in den ersten Monaten des Konflikts, als die Regierung nach Bordeaux umgezogen ist, um vor einer möglichen Invasion von Paris durch die deutsche Armee zu fliehen, steht er an der Seite des Bildungsministers Albert Sarraut während seiner Rede zur feierlichen Jahresanfang der lycées vor den Dekanen und Professoren der Universität im Amphitheater der medizinischen Fakultät.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reist Raymond Thamin viel, um Vorträge über Moral und Pädagogik zu halten : in Kanada und den Vereinigten Staaten (1902), in Italien (1903 und 1911), in Belgien (1905 und 1910) und in London (1906).Im Rahmen der internationalen Beziehungen ist er vor allem dafür bekannt, dass er sich für die Annäherung zwischen Frankreich und Spanien einsetzt, indem er an der Gründung der Casa Vélasquez beteiligt ist und 1909 das Institut Français de Madrid gründet. Darüber hinaus hält er im selben Jahr Reden zur Unterstützung der brüderlichen Vereinigung zwischen Frankreich und Schottland vor ausländischen Delegierten, die an den französisch-schottischen Festen in Bordeaux teilnehmen. Als Pionier der Kulturdiplomatie trug er 1917 zur Verbreitung der Propaganda unter den neutralen Ländern bei, indem er die spanischen Akademiker begleitete, die auf einer Mission nach Frankreich gekommen waren. Zur gleichen Zeit, kurz nachdem die Vereinigten Staaten in den Konflikt eintreten, empfängt er feierlich an der Universität Bordeaux den Bildungsdirektor des Bundesstaates New York, Herrn Finley, um den Austausch von Studenten und Professoren unter den neuverbündeten Ländern zu fördern. Als Apostel der französischen Ausstrahlung im Ausland ist er auch Mitglied des Institut de coopération intellectuelle (Instituts für intellektuelle Zusammenarbeit) und Verwalter des Maison de France in London. Diese gewissermaßen diplomatischen Unternehmungen, die angesichts des gleichzeitigen Sterbens von Soldaten an der Front etwas zweiträngig erscheinen mögen, sind in der Tat entscheidend in einem Krieg, in dem Massenpropaganda eine entscheidende Überzeugungswaffe ist. Sie sind auch wesentlich für den Aufbau des Friedens und die künftigen Beziehungen zwischen den Siegern in der neuen Weltordnung.

Die Kämpfe Raymond Thamin spielen sich auch auf anderen Ebenen, etwa für die Aufrechterhaltung der Bildung und die moralische Unterstützung der Bevölkerung. Die Presse, die für ihr ständiges Engagement in diesem Konflikt gelobt wird, versäumt es nicht, anzumerken, wie tief der Verlust von Angehörigen, die im Kampf fallen, ihn erschüttern (einer seiner sechs Söhne, Henri, stirbt als Pilot 2015, und auch ein mobilisierter Bruder des Rektors sowie seinen Neffen Marcel, Leutnant der Artillerie und Jacques, Leutnant-Flieger sterben im Kampf 1914 und 1917). Trotz dieser schmerzlichen Ereignissen ist der Krieg für den Rektor eine Gelegenheit, zu zeigen, wie viel ihn seine Akademie (d.h. sein Bezirk) bedeutet. Im Buch „L’Université et la Guerre“, das aus zuvor im Zeitschrift La Revue des deux mondes erschienen Artikeln besteht, liefert er eine Erzählung darüber, „wie man in der Universität zu sterben wußte und wie die Universität selbst zu leben wußte“. Dieses dem Andenken seines Sohnes gewidmete Werk zeugt von den Anstrengungen und Opfern, die allen Lehrern und Professoren der Primar- und Sekundarschule sowie der Universität auferlegt wurde. Schon in den ersten Zeilen erinnert Raymond Thamin daran, dass „ es nicht mehr bloße Hoffnungen, sondern Talente sind, die in ihrer ganzen Blüte vergehen“. In der Tat, „von mehr als 42.000 im Januar 1914 ist die Zahl der Studenten der Universitäten im Dezember desselben Jahres auf etwa 10.000 gefallen und droht, noch tiefer zu sinken. Dabei sind die hälfte davon Studentinnen und Ausländer. Das sind 32.000 Studierende weniger. Diese, aber, kämpfen“, schreibt er.

Er ehrt auch die Professoren, die er gekannt hat und die im Kampf starben, wie den Professor für Zivilrecht der juristischen Fakultät von Bordeaux, Gustave Chéneaux : „Er mobilisierte sich mit fünfundvierzig Jahren freiwillig, als sein mühsames Leben ihn wohlverdiente Früchte brachte, er, deren friedliche juristische Arbeit und sanfte Physiognomie den patriotischen Eifer und das zukünftige Heldentum nicht erraten ließen“. Raymond Thamin bemühte sich auch, die Ernsthaftigkeit und Tapferkeit der an die Front gegangenen Studenten zu zeigen, die sich weiterbilden und „Bücher lesen, die oft mit vom Erde der Granaten beschmutzt sind, oder nachts in der Nähe der Ratten“. Die Figur des Professors, schreibt er, “versteht und macht um ihn herum den Sinn und die Größe der Ereignisse, die er erlebt, verständlich. Er empfindet darin einen Stolz und zugleich einen ästhetischen und moralischen Genuß.”

Nach den zahlreichen Zeugnissen und Briefen von Lehrern und Professoren, die die Geschichte der Ereignisse illustrieren, wie sie von den Lehrkräften an der Front erlebt wurden, berichtet der Rektor von Bordeaux über die Mobilisierungen derjenigen, die hinten geblieben sind. Er verweist auf die Schwierigkeiten bei der Durchführung von Kursen und Prüfungen und berichtet über das Unglück von Studenten an der Front, die trotz der Mobilisierung versuchen, ihr Studium fortzusetzen. Er nimmt das tragische Beispiel eines achtzehnjährigen Sergeanten, Marcel Ferrette, der sein baccalauréat “zwischen zwei Schüssen” absolviert und erklärt, wie er, obwohl er trotz einer schrecklichen Woche in den Schützengräben die schriftliche und die mündliche besteht, am selben Abend an die Front zurückkehrt und am nächsten Tag stirbt. Er erläutert die Auswirkungen des Konflikts auf die Lehre, beschreibt die Veränderung der Lehrpläne durch den Krieg und wie das Universitätsleben mit den Mobilisierungen, der Rückkehr von Verletzten und den Genehmigungen, Schritt hält : „Die Zuhörerschaft einiger Kurse ist beeindruckend : Verstümmelte und junge Witwen, auch echte Verstümmelte, die kommen, um sich umzuorientieren, um ihr Leben neu zu gestalten.“ Anschließend widmet er ein Kapitel dem Engagement der Bevölkerung und beschreibt alle alltäglichen Gesten für Soldaten, Gefangene, Verwundete und Geflüchteten. Er selbst gibt mehrere Rundschreiben heraus, darunter eines, das alle Schüler und Studenten auffordert, die Kriegsversehrten jedes Mal zu begrüßen, wenn sie ihnen begegnen, um ein Zeichen der Zuneigung und Dankbarkeit auszudrücken. Er erwähnt auch die Vorlesungen, die im Elsass, in den besetzten Gebieten und in den Gefangenenlagern in Deutschland stattfinden, und die ihm zufolge die Kraft des französischen Denkens demonstrieren.

Er entwickelt dann die Idee, dass Frankreich durch die Mobilisierung seiner Intellektuellen im “Krieg des Rechts” einen echten “philosophischen Kreuzzug” führt. Er erinnert an die Gesamtheit der Reisen von Studenten und Professoren außerhalb der nationalen Grenzen und an alle Bemühungen der „Außenpolitik“ der Universitäten, das Ansehen der französischen Kultur zu pflegen und die Welt von der Richtigkeit ihres Kampfes zu überzeugen, trotz ihres Mangels an materiellen und menschlichen Mitteln. Er weist seinen Leser darauf hin, dass “die vorausschauende Politik der (französischen) Universitäten, die die komplizierten Formalitäten reduziert haben, die Ausländer bisher oft davon abhielten, zu kommen. Die deutschen Universitäten hingegen, so führt er fort, hätten den gleichen Zeitpunkt gewählt, um sich durch schikanöse Maßnahmen um die ausländischen Kundschaft am Kommen zu hindern, dies wahrscheinlich um zu zeigen, dass sie diejenigen ausschließen, die nicht mehr zu ihnen kommen. Der Rachegeist gegen die deutschen Universitäten nährt also alle seine Schriften. Als leidenschaftlicher Patriot und unerschütterlicher Verteidiger der Union sacrée, der 1906 den Einfluss der sozialistischen Thesen auf den Geist der jungen Frauen kritisierte, erkennt er an, dass man jetzt „zweimal schauen muss, bevor man sich gegenseitig verleumdet“ und erinnert sich an „die Chefs derjenigen, die man Gewerkschafter nannte [und die] zuerst starben“. Er schließt sein Werk mit den Worten : „Die Universität hat noch nie der Ort einer so starken Vereinigung, eine Vereinigung aller, aus denen sie sich zusammensetzt, Soldaten und Zivilisten, Männer und Frauen, Lehrer und Schüler, von den großen Sämännern von starken Ideen bis zu dem Mädchen der Dorfschule, das beim Stricken seine Winterkampagne gemacht hat. […] Union sacrée in der Union sacrée, die sie überleben wird, wie sie ihr vorausgegangen ist, die die Universität zu einer der stärksten und harmonischsten Institutionen des Landes macht, eine Kraft nicht nur für den Frieden, sondern für den Krieg, der ihr gegeben hat, sich mit den verschiedensten Pflichten zu messen und ihnen gegenüber als eine große Institution zu erscheinen.“

Nach dem Krieg veröffentlichte Raymond Thamin seine Memoiren über einen Rektor im Krieg im Buch „Pédagogie de guerre“ (Pädagogik im Krieg). Er berichtet über die Geschichte seiner Akademie und stellt alle Briefe aus, die er von der Front als Antwort auf seinen Aufruf an die mobilisierten Professoren und Lehrer seiner Akademie bekommen hatte. Er fasst den Inhalt der unterschiedlichen Rundschreiben zusammen, die er über Soldatenbegräbnisse, Kriegsbibliotheken, Kreditaufrufe, Werke zugunsten der Gefangenen und setzt sie in Verbindung mit der Antwort der Alliierten an den Präsidenten Wilson, die er als eine wahre „Erklärung der Rechte der Nationen“ ansieht, die er in den Mittelpunkt einer Geschichtsvorlesung stellen möchte, damit „die Schüler wissen, dass etwas Großes passiert ist, das die Zukunft einbezieht und ein besseres Europa verspricht“. Darin stellt er auch seine bittere Antwort auf die Beschwerden der Universitäten Leipzig und Heidelberg über die Vertreibung deutscher Gelehrter und Bibliothekare aus der Universität Straßburg vor.

In der Überzeugung, dass das, was sich ereignet hat, der Sieg der Wissenschaft, des französischen Genies und der lateinischen Zivilisation über die deutsche Barbarei bedeutet, spricht sich Raymond Thamin für die Stärkung der klassischen Kultur in den Lehrplänen aus. Als leidenschaftlicher Verfechter der Tradition und Verehrer der Antike stellt er den obligatorischen Lateinunterricht wieder her, als er zum Direktor des Sekundarunterrichts ernannt wird, und zieht sich dafür die Angriffe der sozialistischen Presse zu. In den Debatten zwischen rechts und links über die Frage der Lehrpläne wird er für seine Ablehnung der Einheitsschule, für seinen Konservatismus und für seine Verteidigung des Religionsunterrichts kritisiert. Er wird dann als reaktionär angeprangert, der sich wenig um dem Laizitätsprinzip wenig kümmert. Über ihm schreibt die Tageszeitung La Lanterne ironisch : „Ein Rektor Bretoner Art [in Anspielung an die traditionell sehr katholisch geprägte Region]“ „dass die Akademie der moralischen Pseudowissenschaften diesen Gegner der laizistischen Schule aufnimmt, könnten wir durchgehen lassen. Auch könnten wir davon absehen, dass die Regierung des ultamontanistischen Bloc National ihm in seinen Reihen behält. Aber dass Thamin im Alter von 75 Jahre Rektor dieser großen Akademie im Südwesten bleibt, das heißt, die Autorität behält über ebendieser gottlosen Lehre, die er eigentlich so hart bekämpft, das gibt eine befremdliche Vorstellung von seiner Logik und von seiner Aufrichtigkeit. Die Gesundheit der Seele des Herrn Thamin scheint trotz seines Glaubens an die Heilige Dreifaltigkeit ernsthaft gefährdet zu sein. Gönnen Sie sich die Ehrlichkeit, Herr Thamin, von einer Universität zurückzutreten, die Sie verraten, und verlangen Sie stattdessen den Posten des Generalinspektors der Ignorantenbrüder an ! Ihre Funktion wird zumindest so mit Ihren Gefühlen übereinstimmen.“ Das Programm der Sekundarschule, das er 1922 einführt, wurde nach dem Sieg des Linkskartells 1924 endgültig aufgegeben. Raymond Thamin wurde gezwungen, seinen Posten zu verlassen, kehrte aber zu seinen ersten Leidenschaften zurück und lehrte Moral und Erziehungswissenschaft an der Pariser Philosophischen Fakultät. Dort unterrichtet er bis 1932 und stirbt weniger als ein Jahr nach seiner Pensionierung.

So zeugen die Kriegsschriften von Raymond Thamin vom Engagement der Intellektuellen und Akademiker, die an die Front gegangen sind oder zurückgeblieben sind. Seine Memoiren zeigen auch, wie das französische Denken im Krieg von einer patriotischen Propaganda beherrscht wird, die alle Wissenschaften, insbesondere die Rechtswissenschaft, durchdringt. Raymond Thamin berichtet von den materiellen und menschlichen Umwälzungen die die Universität in diesen Jahren erlebt und vowon auch die Rechtslehre betroffen ist : Beschlagnahme der Räumlichkeiten der juristischen Fakultät durch die Regierung im Exil in Bordeaux ; Studenten und Professoren, die für Frankreich gestorben sind (darunter der Zivilrechtler Gustave Chéneaux, der für sein Opfer an der Front als Held getragen wird). Hierdurch werden die Universität und die Wissenschaft, insbesondere die Rechtswissenschaft, zu symbolischen Werte, die gegen den Feind zu verteidigen sind. Seine Erzählungen und diplomatischen Aktionen spiegeln auch die Mobilisierungen von Rechtsprofessoren wider, die ins Ausland gehen, um die neutralen Ländern davon zu überzeugen, an der Seite der Alliierten in den Konflikt einzutreten, wie etwa der Pariser Internationalist Albert Geouffre de La Pradelle, der mitten im Krieg eine Reihe von Vorträgen in den Vereinigten Staaten hält, um die Annäherung zwischen den Universitäten zu fördern. Der Rektor von Bordeaux versäumt es auch nicht, über den Rückgang der Zahl der Studenten und Professoren und den Mangel an Ressourcen der Fakultäten zu einer Zeit zu berichten, in der die Ausstrahlung der Wissenschaft, insbesondere der Rechtswissenschaft, zu einem Thema der französischen Kulturdiplomatie wird. Er lobt daher der wachsende Zahl von Ausländern und Studentinnen an der Universität. Obwohl Frauen wan der juristischen Fakultät noch weniger vertreten sind als an den anderen Fakultäten von Bordeaux, schaffen sie es trotz des Widerstands der akademischen und juristischen Kreise, ihren Platz zu finden und sich als wichtige Figuren der Rechtswissenschaft zu etablieren, wie die Rechtsanwältin Vogée-Davasse, die 1915 promoviert, sowie die Rechtsanwältin Manon Cormier, eine der ersten Studentinnen der juristischen Fakultät von Bordeaux, die 1916 im Alter von zwanzig Jahren einen Abschluss in Rechtswissenschaften macht.

Die Berichte von Raymond Thamin über diese Ereignisse zeugen auch von den Leiden und vom Opfer, die alle im Rahmen eines totalen Krieges ertragen mussten. „L’Université et la Guerre“ (Die Universität und der Krieg) ist ein Werk, das die Moral der Bevölkerung zu unterstützen sucht und gleichzeitig eine historische Quelle darstellt. Schließlich ist das Buch auch das Zeugnis eines trauernden Mannes, der über seine eigenen Kämpfe berichtet, um sich vielleicht von der Notwendigkeit der Opfer zu überzeugen, die die Ereignisse ihm auferlegten. Eine weiteres Buch erscheint nach dem Krieg. „Pédagogie de guerre“ (Kriegspädagogik) geht auf dem gleichen Gegenstand ein : es geht um sein Enaggement, um dier Handlungen der Schüler, Studenten, Lehrer und Professoren einer im Konflikt eingebundene Akademie, verstärkt durch kathartischen Charakter der Schriften von Raymond Thamin. Er enthüllt, wie seine Funktion zu einem Rettungsbrett wurde, auf das er sich stützte, um sein Unglück zu überwinden und seinen Kampf gegen den Feind fortzusetzen. Denn sobald seine Kämpfe beendet sind, seine Rolle als Rektor beendet ist, sein Programm als Direktor der Sekundarstufe kritisiert und dann aufgegeben wurde, seine Lehre beendet ist, erlöschen seine Lebensgründe. Trotz dieser bemerkenswerten Verpflichtungen im Konflikt sollte man jedoch nicht die Tatsache verkennen, dass die Verbreitung seines Patriotismus in den großen nationalen Zeitschriften ihm eine echte Berühmtheit verschaffte, die es ihm ermöglichte, in die Regierung des Bloc National beim Erziehungsminister Léon Bérard einzutreten, dem zukünftigen Botschafter des Vichy-Regimes beim Heiligen Stuhl. Obwohl dieser Aufstieg von kurzer Dauer war, scheint sie ihm einen privilegierten Weg gesichert zu haben, um einen Lehrstuhl an der Académie française und an der Philosophischen Fakultät der Sorbonne zu besetzen. So gesehen könnte man sich fragen der Krieg nicht den Nebeneffekt gehabt hat, die Verdienste und Karrieren von denen zu bevorzugen, die die konservativsten Werte verteidigen, wenn eine Republik vom Rechtsstaat zum Kriegsstaat übergeht.

Antoine Sené, Doktor der Rechtswissenschaften, Forschungsinstitut Montesquieu

 


Literaturangaben

« M. Thamin à l’Institut ou un recteur à la mode de Bretagne », La Lanterne : journal politique quotidien, 27 mai 1922, p. 1.

Bréhier Émile, « Portraits contemporains : M. Raoul Thamin », Revue politique et littéraire, 1922, p. 431-433.

Charle Christophe, « Thamin (Raymond), note biographique », Les professeurs de la faculté des lettres de Paris – Dictionnaire biographique 1909-1939, Publications de l’Institut national de recherche pédagogique, 1986, 2-2, p. 205-206.

Condette Jean-François, « Le recteur d’académie et la lente construction de l’lnstruction publique en France (1808-1940) », dans Carrefours de l’éducation, vol. 2, no 26, 2008, p. 7-24.

Thamin Raymond, L’Université et la Guerre, Librairie Hachette et Cie, Paris, 1916, 165 p.

—, Pédagogie de Guerre, Librairie Hachette, 1920, 176 p.