Die Reden des Dekans Larnaude


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In der Ausgabe das Jahres 1900 der Zeitschrift  Revue internationale de l’enseignement (RIE – Internationalen Zeitschrift des Hochschullehre) wird eine Rede des Dekans Ernest Glasson (Dekanat 1899-1906) anlässlich der Preisverleihung der juristischen Fakultät abgedruckt. Die Rede geht auf „die Entwicklung der Lehre an der Pariser Rechtsfakultät im 19. Jahrhundert“ ein und schließt auf die Perspektiven einer erhofften Zukunft für die Institution : „Unsere geschätzte Fakultät möge ihre Entwicklung fortsetzen, und während dieses zwanzigsten Jahrhunderts, das vielleicht eine Epoche gewaltsamer Kämpfe sein wird, möge sie durch die unerschütterliche Festigkeit ihrer Lehren einer der bevollmächtigtsten Vertreter der Rechtswissenschaft gegen den Missbrauch von Gewalt bleiben. Dass Frankreich seine Mission erfüllt, indem es sich vom modernen Geist inspirieren lässt, ohne seine Vergangenheit zu verleugnen, was seine Größe ausmacht ; dass es durch seinen Patriotismus, das Frankreich von Jeanne d’Arc bleibt, und durch seine Toleranz das Frankreich von Heinrich IV. bleibt, und durch seine Liebe zur Justiz das Frankreich von 1789 bleibt “(RIE, 1900, S. 207). Der Große Krieg sollte diesem Aufruf zur Verteidigung des Rechts ein dramatisches Echo verleihen.

Seit dem Dekret vom 28. Dezember 1885 stellt der Fakultätsrat nach Wahl des Bildungsministers zwei Kandidaten für das Dekanat vor. Ferdinand Larnaude ist seit März 1910 Assessor des Dekans Paul Cauwès und seit April 1892 Inhaber des Lehrstuhls für allgemeines öffentliches Recht in Paris und Gründer der Revue du droit public (RDP) im Jahr 1894. Durch seine Wahl am 11. Juli 1913 (32 von 43 Stimmen) wird er ab dem folgenden 1. November zum Dekan für drei Jahre ernannt.

Vor dem Krieg sind an der juristischen Fakultät von Paris 39 ordentliche Professoren, 4 Assistenzprofessoren und 2 außerordentliche Professoren tätig für 7.822 Studenten. Die zahlreichen Arbeiten, die dieser Fakultät gewidmet wurden, zeugen von den ziemlich distanzierten Beziehungen, die sie mit der Macht unterhält, gegenüber der sie eine prinzipielle Neutralität zeigt – was ihre Mitglieder jedoch nicht daran hindert, sich individuell zu engagieren. Auch sind ihre ehemaligen Studenten in politischen, administrativen oder juristischen Kreisen präsent, die ihren Sitz in Paris haben (Kassationshof, Staatsrat, Berufungsgericht von Paris). Der Große Krieg wird diese Neutralität der Institution zunichte machen, wie die akademische, rechtliche und politische Stellungnahmen des Dekans beweisen, die hier unter die Luppe genommen werden – nämlich die Reden, deren Text in den Protokollen des Fakultätsrates festgehalten sind, aber auch derjenigen, die in anderen Quellen (den Tageszeitungen, der RIE oder dem nach dem Krieg veröffentlichten Gästebuch) wiedergegeben werden.

Der letzte Rat des akademischen Jahres findet am 27. Juli 1914, am letzten Tag des Jahres, statt ; Im Sitzungsprotokoll deutet nichts auf Kriegsdrohungen hin, da nur praktische Fragen behandelt werden, wie die Verschiebung um eine Woche von der Eröffnung des Unterrichts im November aufgrund der Zahlreichen Studenten, die die Klausuren von Juli nicht bestehen. Als die Ratssitzungen am 5. September wieder anfangen sind einige Professoren bereits mobilisiert und man beklagt die ersten Toten unter den Studenten. Auch wenn Paris sich auf die Möglichkeit einer Besatzung vorbereitet, erwartet die Fakultät ihrerseits dass der Krieg nur von kurzer Dauer wird. Dennoch muss der Dienst der mobilisierten Professoren umgestaltet werden.

Am 3. November 1914 unterzeichneten 15 französische Universitäten den Text mit dem Titel Die französischen Universitäten an den Universitäten neutraler Länder. Der Text versteht sich als Reaktion auf einen Protest-Schrift der deutschen Universitäten auf die Verurteilung Deutschlands aufgrund von begangenen Kriegsverbrechen (Appell an die zivilisierten Nationen, von 93 intellektuellen Vertretern der deutschen Wissenschaft und Kunst ; Berliner Appell vom 10. Oktober 1914, der von den Meistern der Hochschulbildung lanciert wird, von 53 Universitäten und Schulen genehmigt und mit 3.200 Unterschriften versehen wurde). Nach der Verletzung der belgischen Neutralität belasten die französischen Universitäten nicht nur den militärischen Feind, sondern weisen auch auf die Verantwortung ihrer deutschen Kollegen hin, die in der Formel von Bundeskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vom 4. August 1914 zusammengefasst ist : „Verträge sind Papierlappen“. Der ehemalige Jurastudent der Fakultäten in Straßburg, Leipzig und Berlin begründet die Nichteinhaltung der Neutralitätsgarantie damit, dass im Kriegzeiten der Zweck die Mittel heiligt. Ungeachtet der Qualitäten der deutschen Rechtswissenschaft beschuldigen die französischen Universitäten „das deutsche Denken, sich als solidarisch und unterwürfig gegenüber dem preußischen Militarismus zu erklären, […] von ihm mitgerissen, es beansprucht die allgemeine Herrschaft“ (RIE, 1914, Band 68, S. 245-246).

Dies ist der Kontext, in dem Larnaude am 7. November 1914 vor seinen Kollegen eine Rede hält. Wir stehen am Vorabend des Schuljahres, und da die Einstellung der Preisverteilungen es ihm unmöglich macht, sich öffentlich im Namen der Fakultät zu äußern, nutzt er die Gelegenheit einer Ratssitzung anlässlich des Ankommens von zwei neuen Professoren (Barthélémy und Demogue) um dort das zu erfüllen, was er als „eine der heiligsten Pflichten seines Amtes“ betrachtet. Und diese Strategie zeigt Früchte, denn diese Rede wird in der Zeitung Le Temps vom 11. November 1914 erwähnt und in der Jahresendlieferung der RIE wiedergegeben (S. 287 ; sie begleitet zwei weitere Wiedereintrittsreden der Universität Paris : die von Alfred Croiset, Dekan der Philosophischen Fakultät („La civilisation française“, S. 248) und die von Ernest Lavisse, Direktor der École normale supérieure („La guerre“, S. 256)).

Obwohl die Fakultät zurückhaltend ist und in der Regel keine öffentliche Veranstaltungen hält, wird im besonderen Kontext entschieden, eine offizielle Stellungnahme der Institution zu halten, den die Fakultät sieht sich “aufgrund der Natur ihrer Lehre und ihres Auftrags durch die Verletzung aller Prinzipien, deren Heiligkeit und Achtung sie lehrt, stärker betroffen als jede andere Institution des Staates”. Diese Rede stellt die ersten Weichen für den sogenannten „Krieg des Rechts“, das heißt die Unterstützung militärischen Anstrengungen mit den Mitteln des Rechts und der Rechtswissenschaft ; sie lässt auch erwarten, wie die persönliche und kollektive Involvierung der Mitglieder der juristischen Fakultät von Paris hinter ihrem Dekan sich abzeichnet. In Anlehnung an Glassons Rede wird die Fakultät als Vermittlerin einer Lehre dagestellt, der es den Soldaten ermöglicht, “die Invasion neuer Barbaren” zu bekämpfen. Durch eine binäre Rhetorik, die eine französische Loyalität und Menschlichkeit der deutschen Perfidie und dem deutschen Zynismus gegenüberstellt, will der Dekan die militärischen Gräueltaten als Konsequenz der von den deutschen Universitäten verbreiteten Lehren : „Es ist die dort vermittelte Lehre, die den deutschen öffentlichen Geist vergiftet, die deutschen Gehirne aus dem Gleichgewicht gebracht und durch den Größenwahn, den sie erzeugt hat, die abscheulichsten Begierden entfesselt hat“. In Bezug auf den Grundsätzen der deutschen Rechtslehre protestiert Larnaude gegen die „barbarische Theorie, eine echte Herausforderung an alles, was die Menschheit bisher geglaubt hat“, dass nicht nur die Kraft das Recht überwiegt, sondern ihr Ursprung sei – ein impliziter Verweis auf Jherings Idee des Rechtskampfes, der Larnaude in Zusammenhang mit der weiteren Theorie des Rechtes der Notwendigkeit und die Theorie des Zwecks bespricht. In dieser ersten Kriegsrede, die Politik mit Recht verbindet, der Krieg durch das Recht, zu dem Larnaude seine Kollegen appelliert, klingt auch wie ein Auruf zur Emanzipation der französischen Rechtswissenschaft von den deutschen Theorien : „Was wir von der Welt verlangen können, an deren Unterwerfung die deutschen Universitäten arbeiten – und nicht verbergen -, ist, sich zu fragen, welche Glaubwürdigkeit einer Wissenschaft für sich Reklamieren kann, die zu solchen Ergebnissen führt !“ Während der vier Jahre des Konflikts werden die Reden von Larnaude stets für den Krieg des Rechts zu mobilisieren, ehe die Aktivitäten der Fakultät sich auf die Vorbereitungen der Nachkriegszeit konzentrieren.

Mobilisierung an allen Fronten des Rechtskriegs

Die Reden von Larnaude haben meist zum Hauptthema der Kampfes für das Recht, aber das Engagement des Dekans nimmt jeweils verschiedene Formen an, die den Herausforderungen der Fakultät durch die Bedürfnisse des Krieges gerecht werden. Die Äußerungen in seiner Reden sind manchmal akademisch, manchmal politisch, manchmal diplomatisch, und die Zeitungen zeugen von seiner intensiven Aktivität – im April 1915 wird sein Arzt ihn aufgrund eines allgemeinen Ermüdungszustands zur Erholung zwingen (die Beteiligung grenzt an Selbstaufopferung, wenn er, während Paris bedroht ist, die Fakultät nicht verlässt und während der Bombardierungen in seinem Arbeitszimmer schläft).

Am 10. Dezember 1914 verliest Larnaude im Rat einen Brief der Studenten des ersten Studienjahres. Der Brief greift das Thema des Missbrauchs der Rechtswissenschaft durch den Deutschen, und geht auf die Notwendigkeit ein, die Grundlagen dieser Wissenschaft in den Vorlesungen der Fakultät zu vermitteln (AJ/16/1799, S. 111-112). Die Antwort, die seinen Kollegen vorgelesen wird, widmet sich weiterhin dieses Thema eines Rechtskrise, die durch die Verletzung der belgischen Neutralität verursacht wurde, und in der Larnaude eine Zivilisationskrise sieht. Er erinnert daran, dass die Rechtswissenschaftliche Fakultät „den Kult der Ehre, die Heiligkeit der Gerechtigkeit, die Unverletzlichkeit der Verträge und die absolute Achtung des Rechts“ lehrt. Um die Idee eines Rechtskriegs besser zu unterstreichen, greift Larnaude sogar die Tradition der Militärschulen auf und verleiht der Promotion 1914 den Titel „Studenten des Rechts der Revanche und des Sieges über die Barbaren“. Einige Monate später findet sich das Thema des Rechts, das die Gewalt überwiegt, in der Rede vom 8. Juli 1915 anlässlich der Verleihung einer Bronzepalme wieder, die die Studenten ihren Kameraden schenkten, die im Kampf „für die Verteidigung des Rechts“ starben. Die Fakultät wird als Schutzort des Rechts dargestellt, für das die Notwendigkeit zu siegen erneut mit der Verteidigung der Zivilisation assoziert wird, deren Garant Frankreich sei. „Nein, das ewige Recht, das Recht der kleinen Völker, das Recht der Niedrigen, das Recht nach mehr Freiheit, mehr Würde für das menschliche Geschöpf, dieses Recht, das wir hier lehren und das an allen französischen Universitäten gelehrt wird, wird nicht erliegen ! Er wird nicht besiegt werden, er kann nicht besiegt werden, denn für ihn kämpft das unsterbliche Frankreich !  » (AJ/16/1799, p. 162-164  ; Nachdruck in : Livre d’or de la faculté de droit de Paris, guerre de 1914-1918, p. VI-VIII).

Aus Gründen der akademischen Diplomatie engagiert Larnaude die Fakultät in einen Propagandakrieg, dessen Ziel klar ist : die internationale öffentliche Meinung vom Wert des französischen Rechtslehre zu überzeugen, um die deutschen Universitäten durch die Anziehung ausländischer Studenten auszutrocknen (das Zulassungsregime wird geändert, um den Wert der Diplome anzuerkennen und die Äquivalenz der Grade zu ermöglichen – vgl. Erlass des Erziehungsministeriums vom 16. November 1915 und Erlass vom 18. Januar 1916). In einer Art Wettrennen mit den deutschen Fakultäten engagiert Larnaude die juristische Fakultät auf allen Fronten. 1915 ist die Fakultät auf der Weltausstellung in San Francisco vertreten, wo Larnaude juristische Werke verschicken lässt. Auch trägt er zum Buch La science française bei, das von Lucien Poincaré und Henri Bergson koordiniert und an den Professoren der neutralen Länder verschickt wird (in ähnlicher Weise verfasst er 1918 eine Präsentation der Fakultät für das Band La vie universitaire à Paris (Das Universitätsleben in Paris), das von Émile Durkheim geleitet wird und sich hauptsächlich an amerikanischen Studenten richtet). Am 11. September 1916 beauftragt er Demogue damit, der Initiative rumänischer Studenten der Fakultät zu danken für ihre Hommage an ihren französischen Kameraden, die im Kampf gefallen sind. Im Januar 1918 kündigt der Dekan seinen Kollegen an, dass das „Œuvre du rapprochement universitaire“ (Werk zur akademischen Austausch), dessen Vorsitzende er ist, eine Feier an der Sorbonne zur Begrüßung der ersten amerikanischen Studentengruppen in Paris veranstalten soll (AJ/16/1799, S. 329). Diese universitäre Zusammenschlusss wird von ihrem Präsidenten als ein zentrales Bestandteil der „großen Universität von Paris, einer für ihre Ausbreitung in der Welt und damit für die Ausstrahlung Frankreichs unter den alliierten und neutralen Ländern notwendigen Strategie“ angesehen (Le Temps, 29. Oktober 1917). Seit Dezember 1915 ist er zudem Präsident des Pariser Komitees des Œuvre universitaire des étudiants prisonniers de guerre (Universitätswerks der Kriegsgefangenen) – eine Schweizer Initiative, die den gefangenen Studenten Bücher liefert, damit sie ihre Arbeit fortsetzen können (Le Temps, 15. Februar 1916 ; USR, 1917, S. 466 ; Bilanz in USR, 1919, S. 383).

Weitere diplomatische Initiative : im Mai 1917 schreibt Larnaude einen Entwurf für ein Brief an dem Präsidenten Wilson, der gerade den Kriegsbeitritt der USA erklärt hat. Wie er später erklären wird, ist der Dekan empfänglich für die Botschaft vom 2. April 1917, die den amerikanischen Bürgern erklärte, dass “das Recht wertvoller ist als der Frieden”. Nach der Übergabe zur Unterzeichnung an die juristischen Fakultäten der Provinzen und an die Rechtsprofessoren der alliierten Länder wird der Text von Le Poittevin dem US-Botschafter übergeben (AJ/16/1799, S. 269 – der US-Präsident wird im September 1917 seine Anerkennung mitteilen). Im Juni 1917 fordert Larnaude endlich, Charles Gide auf, die juristische Fakultät zum Jubiläum von Wilfredo Pareto in Lausanne zu vertreten (dieser war bis dahin dagegen), der angeführte Grund ist einfach : Die Deutschen werden dort sein, die Franzosen müssen auch dort sein ! (AJ/16/1799, S. 278).

Da die juristische Expertise der Fakultät in der aktuellen Situation gefragt ist, machen der Dekan und seine Kollegen ihr mögliches, um viele Vorträge zu halten und verschiedene technische Ausschüsse zu integrieren. Die Natur dieses Engagement bringt sie an die Grenzen von Recht und Politik ; auch wenn man gewiss sagen kann, dass im Krieg alles politisch wird, aber hier ist die Frage der Neutralität zweifellos zentral. Larnaude ist seit Januar 1915 Vorsitzender des Nationalen Aktionskomitees für die vollständige Wiedergutmachung der durch den Krieg verursachten Schäden (das er erst im Juni 1921 aufgeben wird). Anlässlich des Brandes von Cambrai, der von den Deutschen im Oktober 1918 verursacht wurde (seit 1914 besetzt, stellt die Stadt ein entscheidender Etape in der Rückeroberungskampagne der Alliierten dar), berichtet Le Temps von einer Intervention des Komitees in der Frage der Vergeltung. Larnaude rechtfertigt den Rückgriff auf “das Gesetz einer modernisierten Talion, wie es die neuen Barbaren wollten : Stadt für Stadt, Dorf für Dorf, Kirche für Kirche, Schloss für Schloss, Eigentum für Eigentum… Die Zeitung fühlt sich verpflichtet, hinzuzufügen, dass das Komitee und seinen Präsidenten nicht vom Geist der Rache gelenkt sind, und dass sie sich „auf den einzigen Boden des Rechts gestellt haben, das dem Feind zugänglich sein kann : das barbarische Recht“ (Le Temps, 3. Oktober 1918, „Die notwendigen Vergeltungsmaßnahmen“).

Mit friedlicheren Worten antwortet der Dekan Larnaude schließlich auf die Einladung seines Kollegen Vittorio Scialoja von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Roms, gemeinsam an der Angleichung der Rechtsvorschriften im Rahmen einer internationalen Rechtsunion zu arbeiten. Die beiden Männer treffen sich diesbezüglich anlässlich eines Vortrags, den Scialoja am 19. April 1917 in Paris hält. Der Vortrag wird von einer Rede Larnaudes eingeführt, der auf die Notwendigkeit der Aktualisierung der zivilen Kodifizierung (d.h. des Napoleonischen Code Civil, der vom justinischen Kodex beeinflußt ist) eingeht, um „ihm neues Blut zu geben und ihn noch zur zivilen Charta der Völker zu machen, die sich für Logik und Klarheit begeistern“ (USR, 1917, S. 171). Die Initiative, die durch die Einsetzung von zwei Ausschüssen formalisiert wird, wird ihre Arbeit fortsetzen, bis 1927 ein Entwurf eines französisch-italienischen Kodex für das Obligationen- und Vertragsrecht vorgestellt wird, dem eine gemeinsam erarbeitete Begründung vorausgeht.

Die Waffen des Rechts zur Vorbereitung des Friedens

Nach dem Waffenstillstand fand am 14. November 1918 an der Fakultät eine Zeremonie vor dem Ehrentafel der 430 gestorbenen Jurastudenten statt (1925 dokumentiert das Goldene Buch 700 Tote und 1.500 Verwundete – ein Gästebuch, das am 23. Juni 1919 im Rat angekündigt worden war (AJ/16/1799, S. 448), dessen Initiative jedoch möglicherweise in dem Brief enthalten ist, den ein ehemaliger Student mit einem Abschluss in Rechtswissenschaften, Herr Léon Julia, dem Dekan bereits am 5. Dezember 1914 in diesem Sinne geschrieben hatte (AJ/16/1799, S. 113). Wenn das Ende des Kriegs eine Art Abschluss der Kriegsrhetorik rechtfertigen könnte, verwendet Larnaude immer noch den gleichen Ton, wenn er erklärt : „Das Recht steht noch und beherrscht die Welt ! Ihnen ist es zu verdanken, dass die Gefahr, die die Grundsätze, die wir hier lehren, bedrohte, gebannt ist !“. Im Herzen der Fakultät, das er als Schutzort des Rechts der Gewalt entgegenstellt, plädiert er für ein Recht, „das nicht nur in seinen unsterblichen Prinzipien gefestigt und bestätigt, sondern auch verjüngt, erneuert und bereit ist, eine neue Entwicklung zu erfahren, um stärker um eine neue Stabilität zu erreichen und die Verhältnisse unter den Völkern zu wahren ,die bisher den Zynismus und der Gewalt ausgesetzt waren. Dieses Recht, meine Herren, das Recht, das wir morgen lehren werden, dieses Recht, wo die Gewalt endlich im Dienste der Gerechtigkeit stehen wird, dieses Recht, das wir nur in einer zugleich fernen und ungewissen Zukunft erblicken können, befindet sich in unserer Reichweite. “Die Aufopferung der im Kampf gefallenen Studenten überträgt allen Fakultätsmitgliedern, Professoren und Studenten bald die Pflicht, zur Entwicklung einer neuen Rechtsordnung beizutragen. Als Vorsitzender von Komitees, deren Arbeit nach dem Krieg fortgesetzt wird, wird Larnaude diese Pflicht erfüllen, indem er an den ersten Verhandlungen über Friedensverträge arbeitet. Als Mitglied des Verantwortungsausschusses und des Wiedergutmachungsausschusses verfasste er zusammen mit Geouffre de La Pradelle eine Abhandlung über die Verantwortung  Wilhelms II. für die erste Sitzung der Pariser Konferenz (Le Temps, 20. Januar 1919).

Am 21. Dezember 1918 nahm er an einem Empfang zu Ehren des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson teil, der von der Universität Paris mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet wurde (dies ist das erste Mal, dass die Universität diesen Titel seit 1896 verliehen hat). Die beiden Männer kennen sich, da der ehemalige Juraprofessor ein Mitarbeiter der Revue de Droit Public war ; Larnaude, der Wilson’s akademischen Werdegang skizziert, ruft zur Zusammenarbeit der französischen und amerikanischen Universitäten auf, als Fortsetzung der Zusammenarbeit der Armeen. Vor allem aber feiert er den Staatsmann, der in Politik und Recht nicht nur versiert ist, sondern auch „unvergessliche und historische Äußerungen davon geschaffen hat, die endlich Richtungen, unerwartete und so weitreichende Orientierungen gegeben hat“ (RIE, 1919, S. 8).

In seinem Nachruf für Larnaude, der am 7. Dezember 1942 stirbt, vermerkt der Dekan Georges Ripert die Liebe seines Vorgängers zu der Institution, die er als „die größte Fakultät der Welt“ bezeichnete (der Entwurf liegt im Dossier Larnaude, AJ/16/6047). Sein unermüdliches Engagement während des Ersten Weltkriegs wird mit dem Offizierskreuz der Ehrenlegion (verliehen am 4. Mai 1919 von Charles Lyon-Caen) aber noch mehr von der dankbare Fakultät belohnt, die ihn vor allem am 1. Juni 1919 einstimmig im Dekanat wieder wählt, als das Ende der Feindseligkeiten es ermöglicht, die während des Krieges unterbrochenen Dekanatswahlen zu organisieren.

Am Ende dieser zweiten Amtszeit wird Larnaude am 23. Oktober 1922 zum Ehrendekan ernannt. Als er am 20. April 1923 in den Ruhestand tritt, verzichtet er jedoch nicht auf die durch den Krieg ausgelösten Aktivitäten, insbesondere in der legislativen Union der befreundeten und verbündeten Nationen, die an der Angleichung der Rechtsvorschriften arbeitete. Anfang der 30er Jahre war er noch Mitglied in 21 wissenschaftlichen Gesellschaften oder Vereinen. Ist dieser Überaktivität ein Überbleibsel des Krieges oder eine Art Zerstreuung ? Ripert ist etwas streng mit den Ambitionen seines Vorgängers, der “von einer üppigen Fakultät mit einer bedeutenden Fakultät träumte. Aber während er sich in seinem Traum vergnügte, verging die Zeit der möglichen Verwirklichungen, und nichts geschah.“ Er erkennt jedoch „die hingebungsvolle Arbeit an, die er für unsere Fakultät zgeleistet hat“, ein Werk des Lebens dessen, der in seiner Abschiedsrede an die Fakultät erinnerte : “Ich habe nie vergessen, dass ich nicht anders existierte als durch die Fakultät und um ihr zu dienen”. Der unermüdliche Kämpfer des Rechtskrieges stirbt, während ein anderer Krieg tobt, und sein Nachfolger hat sich für die Zusammenarbeit in der Vichy-Regierung entschieden.

Anne-Sophie Chambost, Professorin für Rechtsgeschichte (Universität Jean-Monnet – Saint-Étienne)


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