Ein institutionelles Erinnern. Das goldene Buch der juristischen Fakultät von Toulouse


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Bereits zu Beginn dieses Krieges, den sich allen als schnell und Siegreich vorstellten stellen sich die menschlichen Verluste als immens heraus. Die Dokumentation der Zahlen der Toten wird nicht erst mit dem Gesetz vom 25. Oktober 1919 „über das Gedenken und die Verherrlichung der Toten für Frankreich im Ersten Weltkrieg“ unternommen, das die Bildung eines goldenes Buches vorsieht, in dem die Namen der Söhne von jedem Gemeinden, die sie am Konflikt beteiligen, aufgeführt werden. Aus finanziellen Gründen werden die geplanten 120 Bände nicht entstehen. Wie zahlreiche andere Institutionen wird die juristische Fakultät von Toulouse schnell aktiv, um eine „glorreiche und traurige“ Liste ihrer im Kampf getöteten Studenten zu erstellen, und am 2. Dezember 1918 kann der Dekan Maurice Hauriou seinen Kollegen mitteilen, dass „die Aufzeichnungen […] fast beendet sind“. Eine Kommission, bestehend aus drei Professoren, wird daher beauftragt, die Veröffentlichung des Buches zu begleiten, das 227 Datensätze enthält und in Form eines großen Volumens mit braunem Ledereinband, mit goldenem Blumenband auf der Titelseite hergestellt wird. Auf diese erste Seite wird auch eine Zitate der Äneis angeführt : Manibus date liliaplenis, „Gib Lilien mit vollen Hände“.

Die Aufgabe des Dokumentieren und der Kontaktaufnahme mit den Familien, das der Dekan Hauriou 1917 anfängt, wird erst 1924 abgeschlossen. Das Unternehmen erweist sich in der Tat als viel schwieriger, als man dachte, zumal die Fakultät zunächst beabsichtigt, mit ein Foto nicht nur diejenigen zu erfassen, die im Dienst starben oder als vermisst galten, sondern auch diejenigen, die nur Verletzungen erlitten hatten ; dieses Projekt wird schließlich aufgegeben. Darüber hinaus möchte man den Begriff „Student“ in einem weiten Sinne verstehen, der sich nicht auf diejenigen beschränkt, die die Kurse der Fakultät besuchten, als sie die Uniform trugen, sondern auch „Älteste“ einbezog, die ihr Studium beendet hatten und sich seit vielen Jahren im Arbeitsleben engagierten, von denen man oft die Spur verloren hat und wiederfinden muss. Schließlich setzt die Eintragung in ein goldenes Buch, wie auf einem Denkmal für die Toten, voraus, dass bestimmte Kriterien erfüllt sind. Das Gesetz vom 2. Juli 1915 sieht rückwirkend zum 2. August 1914 (also am Tag der allgemeinen Mobilmachung) vor, dass der Vermerk „Tod für Frankreich“ nach Zustimmung der Militärbehörde auf der Sterbeurkunde der Personen, die aufgrund des Krieges sterben, angebracht wird. Die Bedingungen dafür werden aufgelistet : Zivilisten und Soldaten, die aufgrund des Feindes gefallen sind, die an den Folgen ihrer Verletzungen oder an Krankheiten gestorben sind, die sie sich bei der Behandlung von verwundeten oder kranken Soldaten zugezogen haben. Es wird durch das Gesetz vom 28. Februar 1922 ergänzt, das die Soldaten einschließt, „die an einer Krankheit gestorben sind, die während des bestellten Dienstes oder an den Folgen von Unfällen während des Dienstes oder anlässlich des Dienstes während des Krieges eingetreten ist“, und präzisiert, dass der Standesbeamte, wenn die Sterbeurkunde „durch einen administrativen Fehler, eine Unterlassung oder eine andere Ursache die oben genannte Erwähnung nicht enthält“, sie, immer nach befürwortender Stellungnahme der Militärbehörde, am Rande des Dokuments eintragen muss. So viele Vorsichtsmaßnahmen, die dennoch nicht alle Schwierigkeiten lösen können. Der Fall von Marc Araou ist ein perfektes Beispiel dafür. Im Mai 1917, als er versucht, mit sein Kampfflugzeug nach einem Triebwerkausfall zu landen, kollidiere er mit Telegraphenleitungen. Das Flugzeug stürzt ab, aber der Pilot kommt lebend davon und nimmt, obwohl stark geprellt, seine Kampfeinsätze wieder auf. Dennoch muss er schnell aufgrund von inneren Verletzungen bald aufgeben und wird evakuiert. Er stirbt schließlich am 22. Mai 1919 im Alter von 23 Jahren in seinem Haus in Béziers. Die Beamten werden lange brauchen, um zu entscheiden, ob er „für Frankreich gestorben ist“ oder nicht, auch wenn er mit einer militärmedaille ausgezeichnet wird. Grund dafür ist, dass die Sterbeurkunde nicht das oben genannte Vermerk aufweist, und dass die Stadtverwaltung von Béziers sich damit begnügt hat, zu erklären, dass Araou „vorübergehend reformiert wurde und durch eine Dienstbedingte Krankheit gestorben sei“. Trotz der Ungeduld des Dekans Hauriou, der am 28. Februar 1922 feststellt, dass wenn Araou an einer im Dienst erworbenen Krankheit gestorben ist, er die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt, leistet die Verwaltung Widerstand ; auf der Sterbeurkunde fehlt trotzdem dieser Vermerk. Letztendlich, auch wenn der junge Mann unter den in den Texten vorgesehenen Umständen gestorben ist, obliegt es seiner Familie, die ordnungsgemäß über die entsprechende militärische Stellungnahme verfügt, die Eintragung zu beantragen. Marc Araou wird schließlich in das Goldene Buch aufgenommen. Die administrativen Verzögerungen werden jedoch dazu führen, dass trotz der Forderung, die sein Vater noch am 17. Januar 1924 formuliert, sein Name nicht auf dem Denkmal der für Frankreich gefallenen Studenten der juristischen Fakultät stehen wird : „Zu spät. Es bleibt kein einziger Platz mehr“, notiert der Sekretär der Fakultät in der Akte.

Begleitet von einem vom Dekan Hauriou unterzeichneten Standardbrief erfolgte die Sammlung der Informationen durch Versendung eines detaillierten Fragebogens an die Familien, der 15 Rubriken umfasst : Name, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Zivilstand am Tag der Mobilisierung, Regiment (oder Ausbildung), zu dem der Student gehörte, Militärgrad am Tag der Mobilisierung, erhaltene Beförderungen und Beförderungsdaten, Militärgrad am Tag des Todes oder der Verletzung oder der Auszeichnung oder des Zitats, Kämpfe, an denen er teilgenommen hat, Ort, an dem er gefallen ist oder verletzt wurde, erlittene Verletzungen, verliehene Auszeichnungen, Werke, die er vor oder während des Krieges veröffentlicht hat, Angabe der Notizen, die über ihn oder seine Werke geschrieben wurden). Das Auskunftsblatt sieht vor, dass es vom Vater, von der Mutter, dem Vormund oder dem Bruder des Soldaten ausgefüllt wird. Wenn die Antworten meistens von den Vätern kommen, finden die nächsten Verwandten nicht immer den Mut, ihren sich mit ihren Schmerz zu konfrontieren, indem sie sich in die Lektüre der notwendigen Dokumente vertiefen oder die notwendigen Schritte unternehmen. Andere verschieben diese Formalitäten so sehr, dass die Name ihres Sohnes nicht in das goldene Buch aufgenommen wird ; die Akte von Melchior Ferrand, der am 20. Dezember 1914 getötet wurde, wird daher erst am 15. Mai 1924 an die Fakultät zurückgeschickt, wobei sein Vater nur „unvollständige Informationen“ liefert, denn, wie er argumentiert, befand sich sein Sohn „zu dieser Zeit in einem Regiment, das niemanden aus der Region zählte“ (in diesem Fall Saverdun), während „seine Häupter zusammen mit ihm fielen“. Dann kommt ein Großvater, ein Onkel, ein Freund, ein Mitkämpfer, oder derjenige, der dem Vermissten in den vor dem Krieg ausgeübten Funktionen nachfolgt, etwa ein ehemaliger Mitschüler, ein Mitschüler oder in einem Fall sogar die Schwester der wiederverheirateten Witwe eines ehemaligen im Kampf gestorbenen Studenten. Seltsamerweise wird das Dokument manchmal an Studenten-Soldaten weitergegeben, die selbst antworten, entweder von der Front oder nach dem Krieg, wenn sie überleben. Wenn keine Antwort kommt, oder wenn die Versuche, ein Familienmitglied ausfindig zu machen, fehlgeschlagen sind, muss eine echte Umfrage bei der Zivil- und Militärverwaltung durchgeführt werden. So ist es unter anderem der Fall von Ferdinand Ducassou, der am 27. November 1885 in Carcassonne geboren wird und erst im akademischen Jahr 1910-1911 die Bänke der Fakultät besucht. Man weiß aus einer kurzen Notiz von „Maître Marignac, ehemaliger Gerichtsvollzieher [in Toulouse], der kurz vor dem Krieg sein Amt an Herrn Ducassou abgetreten hatte und es zurücknehmen musste, bis er einen neuen Inhaber gefunden hatte“, dass er „an den Kämpfen von Verdun teilnahm“, dort zu einem unbekannten Zeitpunkt schwer verwundet wurde und am 3. März 1920 an den Folgen seiner Verletzungen im Militärkrankenhaus von Marseille stirbt. All dies erfordert eine Bestätigung. Da “er in Toulouse für eine lange Zeit gelebt hat”, nimmt der Dekan Hauriou mit dem Standesamt von Toulouse Kontakt auf, das jedoch keine Spur von einer Sterbeurkunde hat. Gleichzeitig wird die Verwaltung des 217. schweren Artillerie-Regiments kontaktiert, in dessen Reihen Ducassou diente, als er verwundet wurde. Da der Betroffene „bei uns unbekannt“ ist, muss man sich an die „Rekrutierungsstab von Carcassonne“ oder von Toulouse wenden, je nachdem, ob er zum Zeitpunkt seiner Eingliederung in der einen oder anderen Stadt wohnhaft war. Der zuständige Ansprechpartner, der ordnungsgemäß kontaktiert wird, wird dann die Anfrage „an die Behörde, in dem der Betroffene zum Zeitpunkt seines Todes eingeteilt war“ weiterleiten. Daran arbeitet dann die Fakultät, die einen zweiten Misserfolg erleidet. Nach weiteren Schritten stellt sich schließlich heraus, dass Ferdinand Ducassou, als er 1906 zum Militärdienst eingezogen wurde, von der Unterabteilung und damit von der „Rekrutierung“ von Marseille abhing, die durch Bestätigung des Todesdatums und -orts anzeigt, dass er in das 13. Dragonerregiment eingegliedert war, einer Einheit, der er sich am 2. August 1914 angeschlossen hatte, bevor er dem 17. Reserveregiment des Zuges und schließlich dem 57. schweren Artillerieregiment zugeteilt wurde. Die Behörden brauchen Zeit, aber Anfang April 1922 ist seine Akte endlich vollständig.

In vielen Fällen beschränkten sich die Familien nicht auf die von der Fakultät angeforderten Kurzinformationen. In frommer Arbeit erstellten sie eine umfangreiche Akte mit Auszügen aus Briefen, die ihre Kinder von der Front schickten, Zeugenaussagen von Kampfkameraden oder Vorgesetzten, Nachruf in der lokalen Presse oder in einer Fachzeitschrift, Todesanzeigen mit patriotischen Stichen usw. Bei mehreren Gelegenheiten wurden echte Dokumente beigefügt, die manchmal mehrere Dutzend Seiten umfassen, auf eigene Rechnung veröffentlicht wurden und das Leben des jungen Mannes im Detail nachzeichnen. Es muss dann eine geduldige Synthesearbeit durchgeführt werden, die zur Erstellung der individuellen Notiz in das goldene Buch  Notiz führt. Diese kurze Notiz beschränkt sich auf die wesentlichen Angaben : Name, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Schulbildung und Diplome, manchmal der Beruf, Grad und Einheit, Datum und Ort des Todes, Auszüge aus den Zitaten und Erwähnung möglicher Auszeichnungen. Dabei lassen sich einige Auslassungen und Fehler nicht vermeiden. In dieser Hinsicht ist der Fall von Joseph-Noël (Eduard, Anselm, Simon) beispielhaft. Er starb in der Somme „zwischen Cléry und Maurepas“, aber der genaue Ort bleibt unbekannt, und weder sein Rang noch die Einheit, in der er diente, werden erwähnt ; Er wird im goldenes Buch sowie auf dem Denkmal für die Toten des Großen Krieges der Fakultät unter dem Namen Simon (Eduard, Anselm) aufgeführt. Er wurde au der Martinique, fern von der Metropole, geboren, in der Gemeinde Lamentin ; und die Fakultät begnügte sich mit sehr spärliche Informationen, die vom Kommandanten des Rekrutierungsbüros der Antillen übermittelt wurden. Um seine wahre Identität wiederherzustellen ist es daher notwendig, sich auf die Liste der Toten für Frankreich zu beziehen, die auf dem Denkmal seiner Heimatstadt eingraviert ist, die sich ihrerseits nicht geirrt hat.

Olivier Devaux, Professor für Rechtsgeschichte (Universität Toulouse-1-Capitole)


Literaturangaben

Devaux Olivier, Garnier Florent, Ceux de la faculté : des juristes toulousains dans la Grande Guerre, « Étude d’histoire du droit et des idées politiques », no 24, Toulouse, France, Presses de l’université Toulouse-1-Capitole, 2017.

Fillon Catherine, « De la chaire au canon. Les engagements combattants des enseignants des facultés de droit pendant la Grande Guerre », dans Revue d’histoire des facultés de droit et de la science juridique, no 35, 2015, p. 11‑30.

Gojosso Éric, « Les ‘Morts pour la France’ de la faculté de droit de Poitiers durant la Première Guerre mondiale », dans Cahiers poitevins d’histoire du droit, no 2, 2009, p. 221‑227.

Mesquida Raoul, Les monuments aux morts de l’université Toulouse-1-Capitole : une mémoire vivante de la Grande Guerre, Mémoire de master 2 d’histoire du droit et des institutions, soutenue à l’Université Toulouse-1-Capitole, 2017.