Ein sehr großer Teil der Studenten der katholischen Rechtsfakultät wurde zum Militärdienst einberufen und viele von ihnen kamen im Ersten Weltkrieg ums Leben. Der Dekan Charles Jacquier gab in seinem Bericht anlässlich der offizielle Schulanfang 1919 die Zahl von 55 Studenten oder ehemaligen Studenten bekannt, die in diesem Krieg getötet worden waren. Diese Schätzung ist zweifellos ein bisschen zu niedrig angesetzt, wenn man schaut an die Informationen, die im Bulletin des facultés catholiques de Lyon (Bulletin der katholischen Fakultäten von Lyon) gegeben sind. Diese Informationszeitschrift erschien erstmals 1880 und wurde anfangs vom Direktor des Spendenwerks, Abbé G. Wedrychowsky, geleitet. Das Bulletin diente dazu, die Spender der katholischen Universität zu informieren und sie über die Geschehnisse in den Fakultäten und die Entwicklung des Spendenwerks auf dem Laufenden zu halten. Es erschien bis 1935 und ist eine wichtige Informationsquelle über das Leben der katholischen Fakultäten in Lyon. Alle Studenten und ehemaligen Studenten der Rechtsfakultät (aber auch anderer Fakultäten der Katholischen Universität Lyon), die während dieses Krieges ums Leben kamen, sind in den verschiedenen Bulletins aufgeführt, die zwischen 1915 und 1919 veröffentlicht wurden. Wir haben somit 31 ehemalige Studenten und 26 Studenten der katholischen Rechtsfakultät von Lyon aufgelistet, die im Krieg gefallen sind.
Das Bulletin des facultés catholiques enthält in jeder Ausgabe eine Rubrik „Morts pour la Patrie“ (Für das Vaterland Gefallene). Die Rechtsfakultät wird als eine große Familie betrachtet, und so werden natürlich auch die ehemaligen Studenten, die für Frankreich gefallen sind, in den veröffentlichten Listen aufgeführt. In den Ausgaben des Bulletins nach dem Krieg zeichnet der Rektor selbst das Porträt einiger getöteter Studenten. Das Andenken an diejenigen wiederzubeleben, die nur noch Namen auf dem Kriegerdenkmal sind, aber auch christliche Werte zu vermitteln, das sind die Ziele dieser wenigen posthumen Darstellungen.
Zu den ersten Studenten der katholischen Rechtsfakultät, die im Krieg gefallen sind, gehört Jacques Jacquier (1893-1915), Leutnant im 97. Infanterieregiment, der im Juni 1915 in Pas-de-Calais getötet wurde. André Crétinon (1894-1916), ein Student, der zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs sein zweites Studienjahr abschloss und Fähnrich beim 299. Infanterieregiment war, starb seinerseit im Oktober desselben Jahres. Das Bulletin des facultés catholiques de Lyon würdigte ihn, indem es seine Tapferkeit hervorhob und einige seiner persönlichen Notizen wiedergab, um seinen großen Glauben zu bezeugen: „Für den Christen, der an Gott und seine Gerechtigkeit glaubt, ist der Tod das höchste Gut, denn er ist der Beginn des vollkommenen Glücks, das man hier auf Erden mit allen Mitteln nicht erlangen kann” (Bulletin des facultés catholiques de Lyon, Januar-Juni 1919, S. 33).
Der reiche Briefwechsel, der einige Studenten mit ihren Familien führten, ermöglicht einen Einblick in die Welt des Ersten Weltkriegs. Die katholische Rechtsfakultät würdigt einige im Kampf gefallene Studenten, indem sie in einem Gästebuch die Korrespondenz, Gedanken und sogar Gedichte ihrer Studenten oder ehemaligen Studenten veröffentlicht.
Einige zeugen von starkem Patriotismus und preisen die Opferbereitschaft. Es überrascht nicht, dass das Gästebuch insbesondere den Glauben der für Frankreich gefallenen Studenten hervorheben will.
Dies gilt beispielsweise für das Porträt von Henri Blanchon (1891-1916), der einen Abschluss in Literatur und Rechtswissenschaften hatte und zum Zeitpunkt seiner Einberufung gerade promovierte. Seine brillanten Studienleistungen und seine Ergebnisse in der ersten Doktorprüfung ließen eine Karriere als Dozent an der katholischen Rechtsfakultät erwarten. Tatsächlich bestand er seine erste Doktorprüfung mit allen weißen Kugeln und mit Auszeichnung. Die Leistungen der Studenten wurden damals anhand eines Systems mit verschiedenfarbigen Kugeln bewertet. Ursprünglich gab es nur drei (weiß, rot oder schwarz), aber durch ein Dekret vom 26. Dezember 1875 kamen zwei weitere Kugeln hinzu (weiß-rot und rot-schwarz). Die weißen Kugeln standen für ein ausgezeichnetes Ergebnis, und Rektor Fleury Lavallée war selbst „überzeugt, dass er eines Tages an unserem Hochschulwesen mitwirken würde, ohne jemals mit ihm darüber gesprochen zu haben” (Archiv der UCLy, Lavallée-Bestand).
Rektor Fleury Lavallée verfasste einen Artikel in einer Broschüre zu Ehren des jungen Studentes, der im Juli 1916 im Alter von 24 Jahren stirbt. Die etwa vierzigseitige Broschüre mit Auszügen aus den Aufzeichnungen von Henri Blanchon wird im Archiv der UCLy, Lavallée-Bestand, aufbewahrt, und der Artikel des Rektors stammt vom 31. Januar 1918. In diesem ergreifenden Porträt werden verschiedene Eigenschaften hervorgehoben. Zunächst seine Sorge um die Zukunft des Landes und damit um die politische Zukunft Frankreichs. In seinen Kriegstagebüchern kritisiert der junge Henri Blanchon die politische Lage und beklagt die übermäßige Zentralisierung sowie den starken Individualismus zum Nachteil der Gesselschaft. Anschließend betont der Rektor den Patriotismus des Studentes, indem er auf dessen Essay über Mut verweist, in dem dieser Patriotismus und Militarismus lobt. Ebenso spielt der Rektor auf einen Roman an, den der junge Mann geschrieben hat. Dieser Roman mit dem Titel Mémoire de Jean Durafour ist keineswegs ein leichtes Werk der reinen Fantasie, sondern präsentiert sich als Ideenroman, in dem er die Erinnerungen eines Zeitgenossen beschreibt, der „in Atheismus und Anarchie verstrickt” war, aber angesichts der „Ohnmacht seiner Lehren” zum katholischen Glauben zurückkehrt. Auch hier liegt der Schwerpunkt wieder besonders auf den christlichen Werten der für Frankreich gefallenen Studenten.
Ein weiterer Jurastudent, der im Ersten Weltkrieg fiel: Charles de Saint Pierre (1894-1915). Nach der Einberufung seines Jahrgangs 1914 wurde er der 59. Artillerie-Einheit zugeteilt, meldete sich jedoch freiwillig für den Fronteinsatz in der Infanterie. Als Leutnant im 101. Infanterieregiment wurde er am 25. August 1915 durch einen Kopfschuss getötet. Auch ihm wird eine besondere Ehre zuteil, und der Rektor stellt seine Kriegstagebücher zusammen, um diesen Student zu würdigen. Auch er verkörpert die christlichen Werte, die an den katholischen Fakultäten von Lyon vermittelt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf seiner Bereitschaft, anstelle eines Familienvaters oder Ehemanns zu kämpfen und sich zu opfern. Er befürwortet auch die Werte der Kameradschaft und schreibt in diesem Sinne einen Brief an seinen jüngeren Bruder. Aus seinem Porträt geht hervor, dass er Soldaten ohne Familie einen Urlaub ermöglichen wollte, indem er ein Projekt zur Unterbringung von Soldaten im Urlaub ins Leben rief. Diese hätten dann während ihres sechstägigen Urlaubs Unterkunft, Verpflegung und Pflege erhalten und so die Möglichkeit gehabt, für ein paar Tage dem Kriegsalltag zu entfliehen. Die Brüderlichkeit und der Altruismus dieses Studentes werden somit durch dieses Zeugnis gewürdigt.
Schließlich sei unter anderem das Porträt eines madagassischen Student namens Joseph Ratiaray, genannt Razanamahery (1896-1918), erwähnt, das im Bulletin des facultés catholiques de Lyon veröffentlicht wurde. Dieser kam zum Kriegseinsatz nach Frankreich und beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, um Jura zu studieren. So erlangte er in zwei Jahren das Diplom und wollte sein Studium fortsetzen (aus seinen Studentenunterlagen geht hervor, dass er sich im November 1916 zum ersten Mal und im März 1918 zum letzten Mal einschrieb), doch dann erkrankte er im Dienst an Tuberkulose und starb am 4. Mai 1918. Auch hier nahmen der Rektor, aber auch der Dekan der Rechtsfakultät sowie einige Professoren an seiner Beerdigung teil. Der Dekan hob in seiner Rede den ungewöhnlichen Werdegang und die christlichen Werte dieses Familienvaters von zwei kleinen Kindern hervor. In seiner Rede betonte der Dekan außerdem, dass er fern von seiner Familie, aber umgeben von der katholischen Rechtsfakultät von Lyon gestorben sei. Um den Patriotismus des jungen Mannes zu unterstreichen, betont der Dekan schließlich, dass er als Angehöriger des Fürstenhauses keineswegs verpflichtet war, in die Armee einzutreten.
Nach dem Krieg versäumten es die katholischen Fakultäten von Lyon nicht, den während des Ersten Weltkriegs getöteten Studenten und ehemaligen Studenten gemeinsam zu gedenken. In diesem Sinne wurde am 27. Februar 1921 im Vorraum der Rechtsfakultät in der Sainte Hélène Straße 30 ein Kriegsdenkmal eingeweiht: eine Steintafel, auf der die Namen der 104 Studenten (aller Fakultäten) eingraviert sind, die für ihr Vaterland gefallen sind. Die katholische Rechtsfakultät zog einen Schlussstrich unter die Vergangenheit und wechselte nach Kriegsende ihre Räumlichkeiten. Sie verließ die Platz Vollon und zog zum Beginn des Studienjahres 1918 in das hôtel de Cuzieu in der Sainte Hélène Straße um.
Myriam Biscay, Dozentin für Rechtsgeschichte, Jean Moulin – Lyon 3, Centre lyonnais d’histoire du droit et de la pensée politique (Zentrum für Rechtsgeschichte und politische Philosophie in Lyon)
Literaturangaben
Moulinet Daniel, « Les étudiants de l’UCLy tués en 1914-1918 », dans Revue de l’Université catholique de Lyon, vol. 35, 2019, p. 9‑20.
