In den letzten Tagen vor Ausbruch des Krieges im Jahr 1914, zählt die juristische Fakultät in Löwen fünfzehn Lehrer im aktiven Dienst. Dazu kommen noch zwei emeritierte Professoren. Ein Teil dieser Professoren übt neben ihrem Beruf als Professeur noch eine andere Tätigkeit aus. Ein Teil von ihnen engagiert sich in der Katholischen Partei. Außerdem war die Ausübung eines politischen Mandats auf lokaler oder nationaler Ebene oder eines Ministeramtes nicht unüblich. Der Krieg wirkt sich somit in mehrfacher Hinsicht auf ihre Tätigkeiten aus.
Der Beginn des Krieges und die Ereignisse im August 1914 treffen die Stadt Löwen besonders stark, die Universität umso stärker. Am 2. August 1914 stellte Deutschland der belgischen Regierung ein Ultimatum. Weniger als achtundvierzig Stunden später wurden die ersten Häuser in der Nähe der deutschen Grenze in Brand gesteckt. Am 5. August ließ sich der Generalstab der belgischen Armee in Löwen nieder. Bereits am 30. Juli hatte Simon Deploige, der Präsident des Instituts für Philosophie, den Kriegseintritt vorausgesehen wandelte sodann und die Räumlichkeiten, für die er zuständig war, in ein Krankenhaus um. Neben Simon Deploige, welcher das Naturrecht lehrt, sind auch mehrere Professoren der juristischen Fakultät anwesend. Im Verzeichnis der Krankenträger stehen unter anderem die Namen von Maurice Defourny und Léon Dupriez. Defourny lehrt Volkswirtschaftslehre. Dupriez ist der Zuständige für die Lehrveranstaltungen zum römischen Recht ; er lehrt auch vergleichendes Staatsrecht. Um die Buchhaltung des Krankenhauses kümmert sich Alfred Nerincx, der u.a. ebenfalls für den Kurs im Strafrecht zuständig ist. Die Professoren treffen hier auf Studenten.
Am 18. August verlässt der Generalstab unter dem Druck der deutschen Invasion Löwen und zieht in Richtung Antwerpen. Am nächsten Tag nehmen die deutschen Truppen die Stadt ein. Einige Tage später, am frühen Abend des 25. August, kommt es nach dem Scheitern einer Gegenoffensive der belgischen Armee zu Ausschreitungen. In mehreren Teilen der Stadt sind Schüsse zu hören. Die Deutschen halten dies für eine Tat der Freischützen, und setzen zum Vergeltungsschlag an. Sie setzen mehrere Teile der Stadt in Brand, unter anderem die Universitätshallen, in denen sich die Bibliothek befindet und die Archive der Universität aufbewahrt werden. Die Deutschen verwüsten ganz Löwen und die Stadt wird zur Plünderung freigegeben. Es kommt zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Die Dupriez-Familie erlebt die Brutalität der deutschen Soldaten und Léon Dupriez wird später eine genaue Zeugenaussage ablegen, damit die Vergehen protokolliert werden können. Das Haus, der Dupriez, welches das wichtigste der Straße war, wird von Soldaten gestürmt und geplündert. Zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern wird er aus dem Haus gezerrt. Man hält sie mit vorgehaltener Waffe fest, während noch mehr Soldaten ins Innere des Hauses stürmen. Dupriez wird hierbei durch ein Bajonett verletzt. Die Gewalt der deutschen Armee trifft besonders hart die Familie – oder eher die Schwiegerfamilie – von Édouard Descamps. Er ist Senator, ehemaliger Minister für Kunst und Wissenschaft – und in dieser Funktion für das Bildungswesen zuständig ; er leitet unter anderem den Kurs für das Verwaltungsrecht, unterrichtet aber auch das Völkerrecht. Décamps Schwiegervater und sein Schwager werden aus ihrem Privathaus geschleppt und hingerichtet. Die Brände gehen bis zum 30. August weiter. Am Donnerstag, dem 27., wird um 8 Uhr morgens die gesamte Zivilbevölkerung vertrieben, da die Stadt bombardiert werden soll. Im St.-Thomas-Krankenhaus weigert sich Bischof Deploige zu gehen. Derweil wird Nerincx gebeten, vorübergehend die Funktion des Bürgermeisters zu übernehmen. Er wird von einem Komitee aus Amtspersonen umgeben. Am 1. September wird eine Proklamation an die Einwohner ausgehängt und noch am selben Tag hält das Komitee seine erste Sitzung im Rathaus ab.
Die Plünderung von Löwen und die von den kaiserlichen Truppen verübten Massenexekutionen führen zu heftigen Reaktionen sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten. Deutsche Professoren antworten darauf mit dem „Manifest der 93‟, in dem alle Kriegsverbrechen geleugnet wurden. Eine Gruppe aus mehreren bekannten Namen aus Löwen, darunter Descamps und Nerincx, forderten vergeblich, dass eine Nachforschung eingeleitet wird. Im Dezember 1914 wird ein zentrales Hilfskomitee für die Geschädigten der beiden Kantone von Löwen gegründet, geleitet von Nerincx. Am 1. Februar 1915 bat der inzwischen in die Stadt zurückgekehrte Bürgermeister Léon Colins Nerincx, seine Aufgabe als Hilfsbürgermeister in allen Angelegenheiten, die die Deutschen betrafen, fortzusetzen.
Löwen reorganisiert sich und das Leben wird unter einem Besatzungsregime wieder aufgenommen. Einige Professoren kehren zurück, so auch Émile Vliebergh. Er ist insbesondere für die Vorlesungen im Niederländischen zum Strafrecht und zum Strafprozessrecht zuständig. Diese beiden Kurse sollen die Studenten auf den Gebrauch der niederländischen Sprache in Justizangelegenheiten vorbereiten, welcher vor den Strafgerichten der flämischen Provinzen dursch Gesetz vorgeschrieben ist. Das Unterrichten ist auch nicht Vlieberghs einzige Tätigkeit. Als Präsident der Landkreditkassen ist er auch als Verwalter des belgischen Hilfsfondses der Wirtschaftswerke zugunsten von Kriegsopfern zuständig. In dieser Funktion unterstützt er im September 1915 den „Aufruf zugunsten des belgischen Volkes an die philanthropischen Institutionen, die Hilfskomitees, die Wohlfahrtsverbände, die Presse und alle großzügigen Spender‟. Im Februar 1916 ist er an der Gründung des „Werk der Lektuur voor Krijgsgevangen‟ (Werk der Lektüre für Kriegsgefangene) in Löwen beteiligt, dessen Ziel es war, Bücher und Zeitschriften zu sammeln und zu kaufen, um sie nach Deutschland zu schicken. Vliebergh setzt sich sehr für die flämische Sache ein und ist seit 1911 Vorsitzender des Davidsfonds – einer katholischen flämischen Kulturorganisation. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, Aktivismus zu bekämpfen und seinen Widerstand gegen die Gründung der „von-Bissing-Universität‟ in Gent zum Ausdruck zu bringen. Die gleiche Ablehnung äußert er gegenüber dem Wunsch nach Verwaltungsautonomie von Flandern. In einer Anschrift an den deutschen Kanzler Bethmann Hollweg, nach dessen Treffen mit einer Delegation von Mitgliedern des Flandrischen Rates am 10. März 1917, drücken 70 belgische Persönlichkeiten, darunter Vlierbergh, ihre Verachtung für die „aktivistischen Infamien‟ aus. Noch im Januar 1918 unterzeichnet er eine Protestanschrift an den deutschen Generalgouverneur : Der Rat Flanderns hatte wenige Tage zuvor die Unabhängigkeit Flanderns proklamiert. Vlieberghs Werdegang kann mit dem Werdegang von Alfred Schicks verglichen werden, auch wenn beide in der flämischen Frage nicht die gleichen Ansichten vertreten. Auch Schicks ist ab den 1890er Jahren für die Lehre im niederländischen Strafrecht und Strafprozessrecht zuständig. Außerdem ist er der Autor des ersten auf Niederländisch veröffentlichten Lehrbuchs zum Strafrecht. Als er kurz vor Kriegsausbruch mit dem Unterricht in Steuerrecht und Notariatsrecht betraut wird, blieb er ebenfalls im besetzten Gebiet und reagiert wie Vliebergh gegen die Gründung der „von-Bissing-Universität‟. Unter dem Titel „Die flämische Frage‟ verfasst er mehrere Beiträge in der Âme belge.
Ihre beiden Lebensläufe ähneln sich jedoch nicht. Nerincx bleibt in Löwen, wo er schließlich das Amt des Bürgermeisters übernimmt. Auch andere, wie Vlierbergh, kehren zurück, jedoch verlassen viele die Stadt. Die deutschen Übergriffe haben sich in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt und es scheint klar zu sein, dass die Universität nicht mehr geöffnet werden würde. Die Professoren der juristischen Fakultät verlassen die Stadt wie alle anderen. Sie suchen Zuflucht, wo sie können, und bringen ihre Familien in Sicherheit. Edouard Descamps zieht es vor zu gehen. Das Privathaus der Descamps, das im ehemaligen Collège d’Arras untergebracht war, ist von den Deutschen besetzt, sodass er in sein Heimatdorf Beloeil im Hennegau zieht. Dies ist auch der Fall für Léon Mabille. Er ist Professor für Zivilrecht an der juristischen Fakultät, Abgeordneter und seit über zehn Jahren Bürgermeister von Roeulx – ebenfalls im Hennegau. Er hat sich an das Pendel zwischen den beinden Städten gewöhnt. Er will nicht mehr zurückzukehren, sondern seinen Aufgaben und Pflichten als Bürgermeister nachgehen. Somit zeigt er bei der Ausübung seines politischen Mandats sein patriotisches Engagement. Bei mehreren Gelegenheiten macht er auf sich aufmerksam, zum Beispiel weil er sich gegen die deutschen Beschlagnahmungen oder gegen die Deportationen, die seine Mitbürger infolge der Zwangsarbeit treffen, ausspricht. Dies ist auch bei Joseph Van Biervliet der Fall. Er war für den Unterricht im Gerichtsrecht zuständig, unterrichtete zusammen mit Mabille Zivilrecht und hatte seit 1898 das Amt als Sekretär der Universität inne. Auch er bleibt in Belgien und engagiert sich. Er schreibt gegen den Aktivismus, der die flämische Autonomie fordert. Das gilt auch für Charles Terlinden, welcher in das Militärauditorium aufgenommen wird und dann zur Staatsanwaltschaft des Königs in Brüssel wechselt.
Neben denjenigen, die in Löwen bleiben und denne, die Löwen verlassen haben, aber in der Heimat, im besetzten Gebiet, bleiben, gibt es schließlich diejenigen, die im Ausland Zuflucht finden. Dies gilt für Léon Dupriez, Jean Corbiau, Simon Deploige – Monseigneur Deploige – oder auch Jules Van den Heuvel. Dupriez floh mit seiner Familie nach Brüssel, wo er bei der Familie seiner Frau unterkam. Später machen sie sich, wie andere auch, auf den Weg nach Großbritannien. In Cambridge, hat sich eine belgische Universität gebildet hat, die geflüchtete Studenten und Professoren aufnimmt, wo er eine Lehrstelle findet. In London hält er eine Reihe von Vorlesungen an der School of Political Sciences. Schließlich geht er in die Vereinigten Staaten. Er wird als Gastprofessor nach Harvard eingeladen und lehrt dort Politikwissenschaft, zunächst auf Französisch, dann auf Englisch. Er zeigt auch über den Atlantik hinweg sein patriotisches Engagement. Dupriez wird zu einem der besten Propagandisten der belgischen Sache. Er hält Vorträge in den wichtigsten amerikanischen Städten und verfasste Artikel für Zeitungen wie die New York Times und den Boston Herald. Seine Frau, Marie Verriest, hält ab Februar 1916 ebenfalls eine Reihe von Vorträgen über das Schicksal Belgiens an verschiedenen Orten. Im Dezember 1916 beginnen die Dupriez mit einer Bewegung gegen die von der Besatzungsmacht organisierten Deportationen von Arbeitern. Im Februar 1917 hält Marie Verriest Vorträge, welche die amerikanische Bevölkerung über die von den Deutschen in Belgien begangenen Verbrechen aufklären und die Amerikaner zu energischerem Protest bewegen soll.
Jean Corbiau lässt sich dauerhaft in England nieder. Anfang November 1914 wird er für – inoffizielle – Kurse in Cambridge angekündigt. Anschließend lässt er sich scheinbar in Oxford nieder, wo seine Frau jedoch im September 1915 stirbt. Neben der Lehrtätigkeit beteiligt sich Corbiau an zahlreichen Initiativen für den belgischen Patriotismus, so dass das Unterrichten nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Er wird Vizepräsident des im Juli 1915 in London gegründete Wirtschaftskomitees, welches die Undersuchung des Wiederaufbaus in Belgien zum Ziel hat. In Oxford nimmt er an Konferenzen teil, die von der Belgian University Extension organisiert wurden. Corbiau engagiert sich gegen die Extreme des flämischen Aktivismus und unterzeichnet zusamen mit anderen Anfang August 1915 den „Appells der belgischen Akademiker‟. Darin wurden alle belgischen Presseorgane aufgefordert, „auf die Veröffentlichung von Artikeln zu verzichten, die geeignet sind, die Feindschaft unter den Sprachen zu wecken und die Disziplin und die nationale Eintracht zu gefährden‟. Im September 1916 wird er zum Vorsitzenden der „Kommission Nr. 3 der vier Rekrutierungs- und Berufungskommissionen für Belgier im Alter von 18 bis 40 Jahren‟ ernannt, welche in London tagt. In Ausübung dieser Aufgaben fungiert er als stellvertretendes Mitglied des Bewährungsgerichts in London. Im März 1918 verlässt er schließlich England und trat der Regierung bei, die sich in Sainte Adresse, in der Nähe von Le Havre befand. Er wird im Ministerium für den nationalen Wiederaufbau angestellt und ist ab Juni 1918 im Wirtschaftsministerium für die Behebung von Kriegsschäden zuständig.
Deploige, der Präsident des Instituts für Philosophie, verlässt Löwen Anfang Dezember 1914. Nach einem Umweg über Le Havre landet er schließlich in Rom. Er wird dazu beauftragt, den Papst über die Lage in Belgien zu informieren. Sowohl der belgischen Regierung als auch der Universität Löwen war die enttäuschend schwache Reaktion des Heiligen Stuhls auf den Brand der Universitätshallen nicht entgangen. Das Gespräch von Deploige mit dem Papst ist scheinbar erfolgreich. Im Januar 1915 verurteilt Benedikt XV. in einer Ansprache „alle Rechtsverletzungen, in welchen Ländern auch immer sie begangen wurden‟. Er erwähnte insbesondere „das liebe belgische Volk‟. Deploige verlässt Rom im Juli 1915 und reist über Le Havre nach Paray le Monial. Dort lässt er in der Basilika Sacré Coeur er eine vom Papst gesegnete belgische Flagge. Nach einer Ruhepause in Lourdes zieht er weiter nach Spanien. Auch hier will er Aufklärungsarbeit leisten und katholische Intellektuelle überzeugen, welche in der Regel zentrale Imperien unterstützen. Nach einer sechsmonatigen Kampagne bringt er schließlich das Manifest A Belgica zurück. Das mit 500 Unterschriften versehene Manifest verurteilt vorbehaltlos den Angriff Deutschlands auf Belgien. Alle diese diplomatischen Handlungen Deploiges, die darauf abzielen, die nicht am Konflikt beteiligten Mächte und die öffentliche Meinung zu sensibilisieren, sind nicht seine einzige Aktion. Er setzte sich auch für die Unterstützung von Soldaten ein. Im Jahr 1917 in Lourdes, belebte er das Foyer du soldat belge (Heim des belgischen Soldaten). Mehr als 40.000 Soldaten können dort während ihres Urlaubs ein wenig Erholung finden. Schon bald wird seine Arbeit nachgemacht. Im Jahr 1918 werden ein englisches, ein polnisches und ein amerikanisches Soldatenheim gegründet.
Jules Van den Heuvel zeichnet sich durch einen umfangreichen politischen Lebenslauf aus. Neben seiner akademischen Tätigkeit im Staatsrecht ist er lange Zeit als Justizminister tätig. Aufgrund seiner Verdienste wird er 1907 zum Staatsminister ernannt. In dieser Funktion nimmt er am 2. und 3. August 1914 am Kronrat beim König teil. Dieser Rat versammelt sich, um zu entscheiden, wie auf das deutsche Ultimatum reagiert werden soll, nachdem die Deutschen den freien Durchzug ihrer Truppen nach Frankreich gefordert hatten. Anschließend folgt er der Regierung nach Antwerpen und dann nach Le Havre (Sainte Adresse). Im Moniteur belge – dem offiziellen Organ Belgiens – wird seine Ernennung zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Sondermission bei Papst Benedikt XV. am 11. März 1915 bekannt gegeben.
Es muss ebenfalls von Edmond Carton de Wiart gesprochen werden, der Van den Heuvels Vorlesung über öffentliche Finanzen übernimmt, da dieser das Justizministerium leitet. Bis 1910 ist er Sekretär von Leopold II. und wird dann zum Leiter des größten Finanzinstituts Belgiens, der Société générale de Belgique, ernannt. Seine Karriere in der Hochfinanz wird durch den Krieg unterbrochen. Am 2. August 1914 meldete er sich als Soldat zum 2. Carabinieri-Regiment und wird nach Antwerpen geschickt. Anschließend tritt er der Regierung in Le Havre bei. Er wird nach London geschickt, um die belgische Regierung bei der gerade von Herbert Hoover gegründeten Commission for relief in Belgium zu vertreten. Anschließend reist er zusammen mit Paul Hymans und Émile Vandervelde in die Vereinigten Staaten, um dort Hilfe zu suchen. Er kehrte 1915 an der Seite des damaligen Finanzministers Alois Van de Vyvere in die Vereinigten Staaten zurück.
Unter den ins Ausland geflüchteten Professoren der juristischen Fakultät gibt es noch einen letzten Fall, der besonders hervorgehoben werden muss. Das „patriotische‟ Engagement eines Dupriez oder Corbiau wurde durch die Ereignisse erzwungen und entfaltete sich zusätzlich zu oder nach ihrer Lehrtätigkeit. Van den Heuvel hatte zwar ein Ministeramt inne und war Staatsminister, doch sein Verhalten war nicht von politischen Verpflichtungen bestimmt. Auch der Werdegang von Carton de Wiart ist es nicht. Anders verhält es sich mit denjenigen, die zwar zu den Professoren der juristischen Fakultät gehören, aber bei Kriegseintritt nationale politische Ämter innehaben, so wie es bei Prosper Poullet der Fall ist. Poullet engagiert sich neben seiner akademischen Karriere auch in der Katholischen Partei. Er ist seit 1908 Abgeordneter und tritt der Regierung de Broqueville als Minister für Wissenschaft und Kunst bei. Bei Ausbruch des Krieges, unterstützt er stark den Befehl zur allgemeinen Mobilmachung, den der König soeben dem Ministerrat vorgelegt hatte. In den Tagen nach der deutschen Invasion am 17. August folgt er der Regierung, welche nach Antwerpen flüchtet. Dort bleibt er bis Anfang Oktober. Die Regierung verlässt Antwerpen und er geht nach Ostende. Dann, einige Tage später, erfolgt die Abreise nach Le Havre. Poullet, der als Inhaber des Wissenschaftsressorts auch für das Bildungswesen zuständig ist, unternimmt mehrere Reisen zwischen Le Havre – Saint Adresse – und den Niederlanden, wo viele Belgier Zuflucht gesucht haben, und weiter nach England. Er unternimmt Inspektionsreisen zu den Bildungsstätten für belgische Flüchtlinge. Der Krieg wirkt sich nachhaltig auf die Ausbildung von Führungskräften und Berufen aus, die eigentlich soziale Bedürfnisse befriedigen und das Funktionieren des Staates gewährleisten sollen. Schließlich setzte sich die Organisation von Universitätsprüfungen durch. Im August 1918 wurde von Poullet in den Niederlanden eine zentrale Prüfungskommission eingerichtet, die zusätzlich die Vorbereitungsprüfungen für die Bewerbungen in den Fächern Philosophie und Literatur sowie für das Notariat abzunehmen hatte. Im Oktober 1918 richtet er in Utrecht eine Zentraljury für die Verleihung des Doktorgrades im Recht ein.
Die Mitglieder der juristischen Fakultät engagierten sich auf unterschiedliche Weise im Krieg. Die meisten von ihnen werden tätig, wenn auch in unterschiedlichen Rollen und je nach eigenem Charakter und Befindsamkeit. Viele von ihnen zeigen patriotisches Engagement, allerdings in ganz unterschiedlichen Maßen. Aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters zieht es sie nicht zur Front und den bewaffneten Kämpfen. Edmond Carton de Wiart meldet sich zwar ab dem 2. August 1914 als Soldat, geht aber sehr schnell nach Antwerpen und später nach Le Havre, um Aufgaben zu übernehmen, bei denen seine Erfahrung nützlicher sein konnte. Ein weiterer Fall ist Charles Terlinden, der im September 1914 in Melle in der Nähe von Gent kämpft, jedoch ist sein bewaffneter Einsatz nur von kurzer Dauer.
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Die während der Besatzungszeit aufgenommene Tätigkeit setzen die meisten nach dem Waffenstillstand fort. Das patriotische Engagement setzt sich in den Organen fort, die nach dem Krieg für den nationalen Wiederaufbau und die Neupositionierung Belgiens unter den anderen Nationen geschaffen werden. Dies wird bei einem großen Teil derjenigen der Fall sein, die zum Zeitpunkt des Kriegseintritts Professoren waren.
Nerincx übt das Amt des Hilfsbürgermeisters bis zum 30. Dezember 1918 aus. Am 14. November 1918 gehört er zu den Persönlichkeiten, die während des Krieges in der Heimat geblieben waren und von König Albert I. in Gent empfangen werden. Von da an ist Nerincx nicht mehr als Bürgermeister aktiv. Er geht in die Vereinigten Staaten und übernimmt im März 1919 die Leitung des Belgian Official Pictoral Service (B.O.P.S.), einer Organisation, die insbesondere für die Propaganda durch Bilder zuständig ist und im Frühjahr 1918 von Major Osterrieth, dem Leiter der belgischen Militärmission in Washington, gegründet worden war. Nerincx wird von den Amerikanern auch für eine Vortragsreise zugunsten der Siegesanleihe beauftragt, was ihn bis zum Sommer 1919 beschäftigt. Im Mai 1919 veröffentlicht er anonym eine Broschüre, in der er die Ansprüche Belgiens auf die Niederlande darlegt. Die amerikanische Öffentlichkeit interessiert sich jedoch nicht für diese territoriale Frage. Nach und nach verschwindet die Darstellung des „Märtyrer-Belgiens‟ aus dem Bewusstsein. „Poor little Belgium‟ gehört bereits der Vergangenheit an.
Mabille, dessen Ideen sehr fortschrittlich sind, wird in den Vorstand des Belgischen Volksbunds aufgenommen, der auch als Belgische Demokratische Liga bekannt ist. Diese macht sich vor dem Hintergrund der sozio-politischen Umwälzungen der Nachkriegszeit für das Frauenwahlrecht stark. Der König hatte gerade das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt.
Descamps übernimmt den Vorsitz der Versammlung der nationalen Verbände für den Völkerbund, die im Dezember 1919 in Brüssel zusammenkommt. Seine Arbeiten erlangten durch die neuen internationalen Konstitutionen nach dem Krieg von Neuem Aktualität und Nutzen, insbesondere seine 1902 veröffentlichte Neutralité de la Belgique (Neutralität Belgiens).
Von de Broqueville in die Exilregierung in Le Havre berufen, verlässt Dupriez die Vereinigten Staaten Anfang 1918. Er wird Sekretär des dritten Kriegsausschusses im neuen Ministerium für die nationale Wiederherstellung, das am 1. Januar 1918 eingerichtet wurde. Nach der Abschaffung dieses Ministeriums wird er im Oktober 1918 Vorsitzender und Berichterstatter der Kommission für die Untersuchung der Verfassungsreform. Einige Wochen später, Ende Dezember 1918, tritt er in das Kabinett des Premierministers ein. Dort wird er Mitglied der Sonderkommission, welche die Reformen untersuchen soll, die in die Organisation des Senats eingeführt werden sollten, welcher im Juni 1919 eingerichtet wurde. Er wurde im Hinblick auf die baldige Verfassungsänderung um Hilfe gebeten.
Nach seiner Mission als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Mission beim Papst ist der Katholik Van den Heuvel Teil der belgischen Delegation, die nach Versailles reist. Hier sind alle drei Regierungsparteien sind vertreten. Van den Heuvel für die Katholische Partei, Außenminister Paul Hymans für die Liberale Partei und Justizminister Émile Vandervelde für die Belgische Arbeiterpartei (die spätere Sozialistische Partei). Er wird zum Delegierten der Kommission für die Wiedergutmachung von Kriegsschäden ernannt. Durch seine Vermittlung tritt auch Terlinden der belgischen Delegation bei der Friedenskonferenz bei. Das gleiche gilt für Carton de Wiart, der als Finanzdelegierter teilnimmt, bevor er seinen Rücktritt einreicht, da er mit der Politik der belgischen Bevollmächtigten in der Debatte um die Wiedergutmachung nicht einverstanden ist.
Prosper Poullet, der Verständnis für die flämische Frage hat, kann sich der Situation der flämischen Soldaten bewusst werden. In Löwen hält er im Frühjahr 1919 zwei Reden, die unter dem Titel La question flamande veröffentlicht werden. Darin schreibt er, dass „die normale Entwicklung der flämischsprachigen Bevölkerung im Wesentlichen mit der tatsächlichen Anerkennung ihrer sprachlichen Rechte verbunden ist‟. Im Mai 1921 hält er vor dem Flämischen Katholikenrat in Hasselt in der Provinz Limburg eine Rede über „Die flämische Frage zwei Jahre nach dem Waffenstillstand‟. Poullet erkennt die Dringlichkeit der Befriedigung der flämischen Beschwerden. Im weiteren Verlauf seiner politischen Karriere ist Poullet 1918 bis 1919 kurzzeitig Präsident der Abgeordnetenkammer. Nachdem er zwischen 1911 und 1925 mehrfach als Minister fungiert, war er in 1925 bis 1926 kurzzeitig Premierminister.
Während Poullet sich für die flämische Frage ausspricht, ist dies bei Schicks bei weitem nicht der Fall. Er, der sich sehr explizit als Verfechter des nationalen Zusammenschlusses sieht und sich sehr deutlich gegen die Eröffnung der „von-Bissing-Universität‟ in Gent ausgesprochen hatte, wird im März 1919 Opfer eines Bombenattentats. Einige Tage später wird ein „Patriotisches Aktionskomitee‟ gegründet, dessen Vorsitzender Schicks wird. Ziel dieses Komitees ist es, gegen die antipatriotischen Professoren und Studenten, zu kämpfen, die unter dem Deckmantel der flämischen Bewegung die nationale Einheit gefährden. Ein königlicher Erlass vom 22. April 1919 überträgt ihm den Vorsitz des Kriegsschadengerichts, das in Löwen eingerichtet wird. Das ist jedoch noch nicht alles. Am 8. August 1919 ernennt ihn ein königlicher Erlass zum Mitglied der interministeriellen Kommission, die die schrittweise Anpassung der Kreise Eupen und Malmedy, die in Anwendung des Versailler Vertrags von Deutschland abgetrennt und mit Belgien vereint wurden, an die belgische Rechtsordnung vorbereiten sollte. Im August 1919 wird in Löwen die Ligue d’Union Nationale gegründet : Schicks gehört dem Komitee an. Bei den Wahlen vom 16. November 1919 kandidiert er für den Bezirk Löwen auf der Liste der Nationalen Union für die Kammer. Da er gegen die Flämisierung der Universität Gent war, die nach dem Krieg erneut geplant wird, wird er im November 1922 einer der Vizepräsidenten der „Nationalen Liga für die Verteidigung der Universität Gent und der Sprachenfreiheit‟.
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Am 21. Januar 1919 wird die Universität in Löwen, wie die anderen Universitäten nach vier Jahren erzwungener Arbeitslosigkeit, wieder eröffnet. Die Studenten finden den Weg zurück an die Universität und die juristische Fakultät. Der Lehrplan für das Studienjahr 1918‑1919 unterscheidet sich kaum von dem der Vorkriegszeit. An der juristischen Fakultät wird Professor Vliebergh emeritiert. Die Fakultät wird durch drei Ernennungen von Lehrbeauftragten verstärkt. Louis Braffort wird für Strafrecht auf Französisch ernannt, während G. Sap für den Kurs Volkswirtschaftslehre auf Flämisch und Émile Van Dievoet für die Kurse Strafrecht und Strafprozessrecht auf Flämisch ernannt werden. Die Ernennungen von Braffort und Van Dievoet sollten einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Fakultät haben. Braffort wird 1929 die Gründung der School of Criminal Sciences initiieren und Van Dievoet wird neben seinen politischen Aktivitäten eine wichtige Rolle bei der schrittweisen Einführung von Kursen in niederländischer Sprache an der Fakultät spielen.
Fred Stevens, Professor für Rechtsgeschichte (Université catholique de Louvain/Katholieke Universiteit Leuven)
Literatur
Stevens Fred, Waelkens Laurent, The History of Leuven’s Faculty of Law,Bruges, La Charte, 2014.