Die Gedenktafel, die heute vor dem Eingang in der größten Halle der juristischen Fakultät von Lille angebracht ist, zieht keine Blicke auf sich. Dabei steht Sie an einem auffälligen Ort, und ist sowohl vom Erdgeschoss als auch von den offenen Laufgängen sichtbar, insbesondere wenn man sich auf dem Weg zum Saal der Akte begibt, wo Verteidigungen von Doktorarbeiten stattfinden. Das Gedenken an das hundertjährige Jubiläum des Ersten Weltkriegs hat zwar das Interesse an diesem Denkmal geweckt, aber es hat absolut nichts mit der Aufregung zu tun, die all jene erschütterte, die nach dem Konflikt zu der beeindruckenden Liste von Namen aufschauten, die in den Marmor eingraviert waren.
Ein massenhaftes Sterben
Zu Beginn des Schuljahres 1913‑14 waren es 351 Studenten. Bei der ersten Rückkehr nach dem Waffenstillstand am 5. Januar 1919 sind es nur 105 : Einige sind noch nicht in eine stark betroffene Region zurückgekehrt, die Mobilisierten sind noch nicht zurückgekehrt und es gibt auch manche, die nicht zurückkehren werden. Es ist zu dem Zeitpunkt kaum möglich, ein Übersicht über die Situation des Fakultätspersonnal zu haben. Um Bilanz zu ziehen, startet daher der Dekan Eustache Pilon im März 1919 eine Familienbefragung. Dadurch erfährt man vom Tod von 54 Studenten (44 an der Front, 9 an den Folgen ihrer Verletzungen, 1 an Krankheit). Weitere 11 Studenten werden vermisst. Was ist geschehen, sind sie tot ? Wurden sie gefangen genommen ? Solange die letzten Gefangenen nicht zurückgekehrt sind, bleibt die Hoffnung bestehen, auch wenn man zu diesem Zeitpunkt zuverlässig die Gesamtmortalität auf 65 Studenten schätzen kann. Darüber hinaus werden Leben durch den Krieg vorzeitig beendet : wie viele von den 30 Verletzten, die die Untersuchung identifiziert, werden ihre Verletzungen überleben ? Historiker haben gezeigt, dass die genaue Zahl der Toten des Ersten Weltkriegs unmöglich zu bestimmen ist. Die Zählung der sogenannten „Für Frankreich gestorbenen“, was die Gestorbenen umfasst, die zwischen zwei gesetzlich festgelegten Stichtagen ihr Leben verloren haben, unterscheidet sich von der Zählung der „Toten des Ersten Weltkriegs“. Die erste Zahl ist deutlich geringer, denn Verletzte sterben noch lange nach Kriegsende, auch wenn es für die Angehörigen immer schwieriger wird, die Todesursache mit dem Krieg in Beziehung zu setzen, da Frankreich Schwierigkeiten hat, die finanzielle Konsequenzen des Konflikts zu tragen. Auf dem Marmor der Fakultät von Lille sind 82 Namen eingraviert. Es sind 17 Studenten mehr als die Zählung des Dekans. Die Regeln, nach denen die endgültige Liste erstellt wurde, sind uns nicht bekannt. Es ist jedoch klar, dass zu den Studierenden, die sich im Studium befinden, eine Reihe von ehemaligen Studierenden, in diesem Fall Rechtsanwälte, hinzugefügt wurden. Man kann sich fragen, warum die verschiedenen Institutionen dazu neigen, eine ohnehin bereits beeindruckende makabre Zählung zu steigern. So stehen einige Schüler auch auf der Tafel ihrer Schule, ihrer Pfarrei. Jede Institution bemüht sich nach dem Krieg, durch die erfassten Trauerfälle zu zeigen, wie sehr sie in den Konflikt verwickelt war. In diesem Fall beweisen sie, dass die Jurastudenten, die damals aus privilegierten Kreisen stammten, keine Hinterhältigen waren, sondern einen großen Beitrag zum nationalen Opfer geleistet haben. Sie haben sich auch besonders mutig gezeigt, wie die Medaillen und die sonstige erhaltene Auszeichnungen bezeugen, die in den Gedenkreden erwähnt und aufgelistet werden : Die Ernte dieses Ruhmes strahlt auf die Institution aus.
Abgesehen vom Ausmaß des Opfers, das die Fakultät gebracht hat, vermittelt uns die Platte wenig. Sie bleibt still. Doch jenseits der Kälte des Marmors, der Kälte des Todes, des hieratischen und aufdringlichen Aspekts von Namen, die sprachlos machen, liegt das Lebendige im Lärm und im Ofen des Krieges. Ihn wiederzufinden bedeutet, die Skala zu ändern, also vom Massensterben zum individuellen Schicksal überzugehen, um sowohl dem Geist, der diese Studenten beseelt hat, als auch den konkreten Erfahrungen, die sie gemacht haben, näherzukommen.
Der psychologische Horizont der Studenten im August 1914
Man kann nicht verstehen, wie diese Studenten in den Krieg eingetreten sind, wenn man nicht die Bedeutung der Kriegskultur bedenkt, in der sie aufwuchsen und sich eine Vorstellungskraft bildete. Sie setzt sich nach der demütigenden Niederlage von 1870 durch und erweist sich als besonders wirksam darin, sie zu Patrioten und Militaristen zu machen, die bereit sind, ihr Leben für Frankreich zu verlieren. Bildung spielt dabei eine wichtige Rolle. Etwa durch die Lehre einer Geschichte, die das Bild eines perfekten Frankreichs vermittelt, jenseits einiger „Details“. Die Studenten, die kämpfen werden, leben in einer „bewaffneten Nation“, die sich zum Pazifisten erklärt und sich gleichzeitig darauf vorbereitet, auf die Aggressionen zu reagieren. Konkret beginnen die Schulbataillone, die Kinder auszubilden, bevor der Militärdienst sie zu echten Soldaten macht. 1905 wurde die Wehrpflicht eingeführt, und 1914 musste jeder Franzose 28 Jahre lang Militärdienst leisten. Nach dem aktiven Dienst (das Barthou-Gesetz hat es gerade von 2 auf 3 Jahre erhöht) wird der Bürger-Soldat in die Reserve der aktiven Armee, dann in die territoriale Armee und schließlich in die Reserve der territorialen Armee versetzt. Damit dieses Dispositiv im Kriegsfall ordnungsgemäß funktioniert, müssen Franzosen regelmäßig Übungszeiten absolvieren. Die Armee nimmt im gesellschaftlichen Leben viel Platz ein. Eine Umorganisierung ergibt ein Netz des Territoriums in 18 Militärregionen gezogen, wodurch eine gewisse Nähe zwischen dem Militär und der Bevölkerung entsteht : 221 Städte beherbergen eine Garnison. Lille ist der Sitz der 1. Region (Militärbezirk). Das 43. Infanterie-Regiment hat seinen Sitz in Lille in der Vandamme-Kaserne, das 127. in Valenciennes und Condé-sur-Escaut, das 1. in Cambrai, das 84. in Avesnes und schließlich das 110. in Dünkirchen. Ein Regiment zählt etwa 3000 Mann. Das Militär ist daher Teil der Landschaft und ist sehr Präsent, etwa in den Paraden, in erste Linie durch Musikkapellen. Jedes Jahr berichtet die Presse in Sonderausgaben mit Artikel und Fotos ausführlich über die großen Manöver. Die militärischen Führer, die damals mit der Kolonisation ein gewisses ansehen genießen, werden verehrt und tragen zum Ansehen der Armee bei. Die Farben und die Eleganz der Infanterieuniform, rote Hosen und blaue Jacke, tragen zum Prestige des Militärstatus bei. Der Krieg ist von einer gewissen Phantasie umwoben, das ihn spannend erscheinen lässt. Sollte es Krieg geben, so soll es ein offensiver Krieg sein, und Offiziere haben darin eine wichtige Rolle zu spielen, indem sie ihre Männer zum Kampf führen. Dass viele Jurastudenten die Vorbereitung zum Offizier absolvieren ist daher nicht verwunderlich. So ist am Vorabend des Konflikts, unabhängig von den politischen Spaltungen, das Konzept der bewaffneten Nation in der Bevölkerung breit akzeptiert, was eine Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg erwarten lässt. Jeder Mann besitzt ein Militärheft mit einem Leitfaden, der ihm vorschreibt, wie er im Falle einer Mobilisierung vorgehen soll. Frankreich gibt sich das Gefühl, bereit zu sein, jeden Feind zu besiegen. Wenn es sein muss, wird die 75-Kanone, die mit den neuesten Verbesserungen ausgestattet ist, die sie schnell und mobil machen, den Sieg der Kämpfer unterstützen. Als Objekt des Nationalstolzes genießt diese Kanone einen wahren Kult. Die Aussicht auf einen Krieg, der, wie das Militär versichert, sehr schnell mit dem Sieg beendet werden soll, stärkt das Vertrauen.
Die Bedingungen, unter denen der Krieg in den ersten Wochen stattfindet, stärken die Entschlossenheit der Jurastudenten, zu kämpfen. Sowohl in Deutschland als in Frankreich ist man überzeugt, einen gerechten Krieg zu führen. In der Tat verstößt Deutschland sofort gegen das Recht, indem es in Belgien einmarschiert, und dessen Armeen schwere Gewalt gegen Zivilisten ausübt. Der deutsche Generalstab hat sich in Wirklichkeit nie den Argumenten der Juristen angeschlossen, die in den Konventionen lagen, einschließlich ihrer Landsleute. Es war für niemanden ein Rätsel : die deutschen Generale denken, dass der Krieg das Recht in Klammern setzt, um den „militärischen Notwendigkeiten“ Platz zu machen, die es ermöglichen, ihn zu gewinnen. Jurastudenten, wie allgemein Juristen, fühlen sich besonders besorgt über diese Missachtung des Rechts. In der Vorstellung, ein Kreuzzug gegen Barbaren für die Zivilisation zu führen, deren Emblem das Recht ist, ziehen sie in den Krieg, empört über die Verletzung der Verträge und stark motiviert durch die Dringlichkeit der Verteidigung des Territoriums. Individuell wollen sie glauben, dass sie dem Tod entkommen werden, denn er bleibt theoretisch, solange er kein Faktum ist.
Den gelebten Tod wiederfinden
Die Marmorplatte hält den Tod fest, erzählt ihn aber nicht. Es braucht ernsthafte Forschungsanstrengungen, um sich konkreten Elementen des Erlebens eines jeden zu nähern, wenn nicht gar erst wiederzufinden. Die geleistete Arbeit, die Analyse der individuellen Schicksale, lässt erkennen, dass nichts den Tod von Jurastudenten im Vergleich zu denen anderer Kämpfer spezifisch macht. Die Analyse bestätigt, dass in diesem Krieg, der demokratisch ist – in dem Sinne, dass nur wenige besondere Einsätze ihre Begünstigten in Sicherheit gebracht haben –, der Tod vor allem die jüngsten (Armee der Aktiven und Reserve der Armee der Aktiven), die Infanterie, die Unteroffiziere und Unteroffiziere trifft. Jurastudenten, wie ihre Kommilitonen aus anderen Disziplinen, kumulieren alle drei Kriterien. Die Untersuchung der individuellen Laufbahnen zeigt, dass die Studenten, deren Namen auf der Marmorplatte gemeißelt sind, fast vollständig zur Infanterie gehören (94 %). 70 % von ihnen tragen einen Dienstgrad und 60 % sind Offiziere oder Unteroffiziere (Leutnants, Unterleutnants, Sergeants) und führen daher Kampfeinheiten, die je nach Rang zwischen 15 (Gefreiten-Truppe) und 60 Männern (Sektion des Leutnants) variieren. Weil sie jung sind, gehören sie zu 84 % der aktiven Armee und ihrer Reserve. Unmittelbar nach dem Erlass der Mobilmachung ziehen sie an die Front los und erleben das Blutbad der ersten Kriegsmonate. Dazu gehört der Gefreite Raymond Delpierre, der am 23. August 1914 bei den heftigen Kämpfen von Hastière in Belgien verschwindet, als seine Einheit zur Verstärkung der belgischen Armee kommt, um die Deutschen daran zu hindern, die Maas zu überqueren. Drei von ihnen fallen in der Schlacht von Guise : Raymond Lixon, Albert Merchier und Albert Lembrez, die letzten beiden am selben Tag (30. August) in Sains-Richaumont. Nachdem die Schlacht an der Marne (6.-13. September) den deutschen Vormarsch gestoppt hat, beginnt ein unfreiwilliger Wettlauf zum Meer, der Versuche zur Umgehung der gegnerischen Armee hervorruft. In der belgischen Region um Ypern finden entscheidende Kämpfe statt. Frédéric Bouclet fällt am 6. November 1914 in Zillebeke. Viele von denen, die überleben, werden während der Offensiven des Jahres 1915 getötet, fast alle an der Front von Champagne-Argonne-Woëvre. Auch wenn die Namen Minaucourt, Mesnil und Perthe-les-Hurlus, noch die Höfe von Beauséjour und Navarin uns an wenig erinnern, klingen sie damals dramatisch für die Familien, weil ein Viertel der Studenten dort begraben sind. Insgesamt Ende 1915 sind bereits 66 % der Studenten die auf der Tafel stehen, gestorben, davon 10 % im ersten Kriegsmonat, ein perfektes Beispiel für die Sterblichkeit der Eliten im Allgemeinen, da diese Studenten aufgrund ihres Grades an der Spitze tödlicher Angriffe stehen.
Diejenigen, die später vom Konflikt verschlungen werden, haben all diese Geschehnisse durchlaufen, bevor sie Verdun oder die Somme durchmachen müssen. Verdun und die Somme ; diese beiden Schlachten erstreckten sich über das gesamte zweite Halbjahr 1916. Die „Hölle“ von Verdun wird durch emblematische Orte wie Douaumont, Fleury, den Toten Mann, die Pfefferküste und viele andere dargestellt. Georges Blavier hat nicht den Ruhm, den die Jäger von Oberst Driant haben. Dennoch gehört er zur Kompanie des 165. RI, die letzteren zur Verfügung gestellt wird, als sie am 21. Februar 1916, nördlich von Verdun, im Wald von Caures, die ersten Angriffe der gigantischen Offensive der deutschen Armee abwischen. Wir wissen, das der Angriff vom 21. und 24. Februar anhält, aber uns ist leider nicht bekannt, wann er Blavier in diesem Zeitraum fällt. Sein Tod wird auf der Sterbeakte auf dem 23. festgelegt. Nur wenige werden diesen Kampf entkommen. Ein paar Tage später wird Gustave Poullet in Fleury getötet, einem Dorf, von dem nichts übrig bleibt. Albert Cambier und Marius Dournel sterben am 20. Mai 1916. Desired Nison am 21. Juni in Douaumont. Der Leutnant Jacques de Riols de Fonclare, der das Recht dem Militär bevorzugte hatte, der übrigens der Sohn des Generals, der in Verdun die 1. Division befehligt, zu der sein Regiment (127. RI) angehörte, wird die Verletzungen nicht überleben, die er in den Kämpfen von April am Côte du Poivre erleidet. Ein Zeichen das der Krieg die Angehörige der höheren Grade nicht verschont. Verliert etwa der General von Castelnau nicht drei von seinen sechs kämpfenden Söhnen ? In der Schlacht der Somme, die am 1. Juli 1916 beginnt, kommen ab dem 20. Georges Saintoyant, Edgard Godard und André Goubet am 6. September, am 16. Marcel Cappon, am 25. Paul Faille und am 26. Jean Poussart ums Leben. Insgesamt sterben in den beiden großen Schlachten des Jahres 1916 mehr als ein Viertel der Studenten, die auf der Ehrentafel genannt werden. Die Jahre 1917 und 1918 sind vergleichsweise weniger tödlich (18 % der Toten in beiden Jahren), geprägt von den Kämpfen am Chemin des Dames, von der Sommeroffensive 1918, deren günstiges Ergebnis den allmählichen Rückgang der deutschen Armeen verursacht, und der spanischen Grippe, die weltweit weit mehr Tote als der Krieg verursacht und an der unter den 400.000 Franzosen Eugène Torrez und Antoine Bianconi sterben.
Umgekehrte Trauer
Frankreich kommt als Sieger aus dem Konflikt hervor, aber wie der Dekan Pilon es ausdrückt : „Die Freude schien jedoch nicht strahlend aus den Herzen.“ Die emotionale Belastung der Rückkehr 1919 ist schwer. Soldaten, deren Tod bestätigt ist, werden getrauert, und es wird auf die Rückkehr der Vermissten gehofft, die fast so viel sind wie die gestorbenen. Hinzu kommen die Gefangenen, auf deren Freilassung noch gewartet wird, etwa Albert Camier, von der man vermutet, dass er im Mai 1916 in Verdun gefangen genommen wurde. Das Warten stellt sich als vergeblich heraus : er kommt nicht zurück.
Die Toten, deren Leichen gefunden wurden, werden manchmal von den Familien geborgen, in ihrer überwiegenden Mehrheit jedoch liegen sie in den großen nationalen Militärfriedhöfen, die die Angehörigen besuchen können. Das ist aber nicht bei allen Familien der Fall. Ein Drittel der Toten in der Fakultät bleiben vermisst. Was sie betrifft wurde keine Leichen gefunden, und es kann keine Sterbeurkunde ausgestellt werden. In den Jahren 1920 und 1921 werden Urteile gefällt, die diese Sterbeurkunde ersetzen sollen, und in die Personenstandsregister eingetragen. Man wird sie dann für wirklich, das heißt rechtlich, gestorben halten. Für die Angehörigen bestimmt diese gesellschaftliche Anerkennung des Todes die Rentenansprüche und erleichtert die Trauer. Die Vermissten lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Einige von ihnen sterben während des Bewegungskrieges in den ersten Wochen des Konflikts. Zu diesem Zeitpunkt ist das Ziel der Armeen, Fortschritte zu machen. Der Umgang mit den Toten ist keine Priorität. Die Leichen werden also auf dem Feld zurückgelassen und später begraben, mehr oder weniger lange nach Beendigung der Kämpfe und in der Regel in der Nähe des Ortes, an dem sie gefunden werden. So wird die Leiche von Albert Marchier, der 1914 als vermisst erklärt wird, 1917 nach dem strategischen Rückzug Deutschlands im Frühjahr wiedergefunden. Nach dem Waffenstillstand findet man die Leichen von Raymond Manier, der im Oktober 1915 verschwunden war, und Maurice Vallas, Sohn des Professors Louis Vallas, der im September 1918 verschwunden war. Ihre Leichen werden dann in einer Nekropole begraben, die den Familien die Möglichkeit gibt, zum Grab zu gehen. Nach dem Krieg werden jedes Jahr neue Leichen ausgegraben, und es wird geschätzt, dass mehrere zehntausend noch an der Front vergraben bleiben. Es gibt Leichen, die nie gefunden wurden. Diejenigen etwa, die verbrannt wurden, eine Praxis, die durch Zeugnisse bezeugt wurde und die, wenn auch nicht verallgemeinert, dennoch existierte. Und vor allem diejenigen, die von den Granaten der schweren Artillerie zerfetzt wurden und von denen bestenfalls nur getrennte Körperteile übrig geblieben sind, die gesammelt und in den zahlreichen Beinhäusern der großen Militärfriedhöfe gesammelt wurden. Neben der Säuberung der Kampfzonen, die in der Nachkriegszeit unerlässlich ist, um den Boden der Landwirtschaft zurückzugeben, geht es darum, den Familien die Möglichkeit zu geben, sich vorzustellen, dass sich in dem kollektiven Grab, dem Beinhaus, die Überreste ihres Verstorbenen befinden. Man kann sich wundern über die Zahl der Leichen, die in den Registern der Beinhäuser angegeben sind. So sollen sich im Beinhaus Nr.6 der Nekropole von Minaucourt, auf der Grundlage von „zwei Schienbeinen, die als ein Mann gelten“, unter den 4.446 „französischen“ Körpern, die Überreste der in diesem Gebiet gefallenen Studenten, wie Maurice Gouvion und Paul Salandre, befinden. Die große Zahl der Vermissten erklärt, warum sich überall Gedenktafeln und Denkmäler vermehren. In Ermangelung der Leiche eines Vermissten besteht dank Ihnen etwas handfestes, das die, auch kollektive, Trauer, ermöglicht.
Mit dem Krieg geschah das Unerträgliche : Die Söhne starben vor den Vätern, und die normale, umgekehrte Trauer ist umso schwieriger zu erreichen. Die Worte des Dekans Pilon anlässlich des Schuljahres 1919 machen die Fassungslosigkeit deutlich, die dadurch hervorgerufen wird. Die Studenten, so Pilon, werden durch den Krieg und vor allem durch ihren Tod zu Professoren befördert : „Ehre diesen Helden ! Sie sind zu uns gekommen, um das Recht zu studieren. Und plötzlich wurden sie Meister ; sie gaben der Welt einer der größten Lektion im Recht, indem sie ihr Leben für die Sache des Rechts gaben.“
Diese Worte sind in Vergessenheit geraten. Aus diesem Vergessen aufgelesen, und gewissermaßen aus ihren spezifischen Kontext gerissen, Hören sie sich sogar seltsam an. Die Emotion der wenigen Menschen, die anhielten, um auf die Platte zu schauen und an Freunde, Kommilitonen oder Kollegen zu denken, ist nicht mehr. Nichtsdestoweniger hält die Fakultät daran fest, und diese schlichte Marmorplatte ist nach jedem Umzug wieder installiert worden. Von der Rue Angellier zur Rue Paul Duez, von dort zum Campus Villeneuve d’Ascq, ist sie in die heutigen Räumlichkeiten des Place Déliot in Lille zurückgekehrt.
Annie Deperchin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Geschichte der Justiz (UMR 8025), Universität Lille, Internationales Forschungszentrum des Ersten Weltkrieges
Literaturangaben
Audoin-Rouzeau Stéphane, Les armes et la chair : trois objets de mort en 1914-1918, Paris, France, A. Colin, 2009.
Audoin-Rouzeau Stéphane, Becker Jean-Jacques (dir.), Encyclopédie de la Grande guerre, 1914-1918 : histoire et culture, Bayard Edition, Montrouge, France, 2013.
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Dorgelès Roland, Les croix de bois, Paris, France, Albin Michel, 1919.
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—, 1916 : l’enfer, Paris, France, Perrin, 2014.
—, 1917 : la paix impossible, Paris, France, Perrin, 2015.
—, 1918 : l’étrange victoire, Paris, France, Perrin, 2016.