Porträts von Toulouser Studenten im Krieg


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In Toulouse findet der erste Vorlesungsanfang seit Kriegsbeginn am 9. November 1914 statt. Es wird „unter normalen Bedingungen“ durchgeführt, wie es der Dekan Maurice Hauriou seinen versammelten Kollegen berichtet. Dennoch zeigen die Zahlen ein anderes Bild. Während im Jahr 1913 1.032 Studenten eingeschrieben sind, sind es 1914 nur 295. 1916 werden es nur noch 175 sein, und auch wenn der Anstieg in den letzten Kriegsjahren wieder einsetzt, wird die Schwelle von tausend Anmeldungen erst 1930 wieder überschritten. Die juristische Fakultät von Toulouse wird vom Ausbruch der Feindseligkeiten mit voller Wucht betroffen. Während viele bereits mobilisiert und in Regimente eingegliedert werden, wird von den im Hinterland gebliebenen erwartet, dass sie sich auch mobilisieren.

Für die Mobilisierungsbefreiten wie für die jüngeren Studenten, die noch nicht mobilisiert werden können, wenn sie dem Ruf unter den Fahnen nicht zuvorgekommen sind, findet dieser Tag des 9. November 1914 in einer ganz besonderen Atmosphäre statt. Gleiches gilt für die wenigen Studentinnen (im Jahr 1913‑14 sind es sieben, im Jahr 1914‑15 drei, und im Jahr 1915‑16 vier) und für die ausländischen Studenten (im Jahr 1913‑14 kamen 34 aus Spanien, Brasilien, Argentinien, Russland, im Jahr 1917‑18 kommen 25 serbische Studenten hinzu). Seit Anfang August ist die Stimmung bedruckt. Frankreich, das bereits zu Beginn der Feindseligkeiten zum Rückzug gezwungen wird, ist unter Schock. Das Schlimmste wird nur durch die Schlacht an der Marne verhindert, die es vom 5. bis 12. September ermöglicht, die deutschen Streitkräfte in letzter Minute zurückzudrängen, die nicht weit davon waren, Paris zu erobern. Die Verluste an Menschenleben sind bereits schrecklich und man weiß jetzt, dass dieser Krieg lang sein wird. Es zeichnet sich ein Zermürbungskrieg entlang einer Front, die sich bald in etwa 750 Kilometer Schützengräben umwandeln wird, in denen die Kämpfer beider Seiten von Angesicht zu Angesicht versinken und sterben.

Der Dekan Hauriou erinnerte daran anlässlich einer Rede der die Studenten im großen Hörsaal der Fakultät versammelt (in Paris spricht der Dekans Larnaude vor den Professoren). Die Vergangenheit ist vorbei. Es wird nicht darum gehen können, sich dem schuldigen Dilettantismus hinzugeben, dem sich die vorige Generation manchmal hingegeben hat und den sie vielleicht selbst in Betracht ziehen würden. Auch wenn sie nicht oder noch nicht mobilisiert sind, müssen sie sich ständig mental mobilisieren. Hauriou erinnert sie auch nachdrücklich an ihre Pflichten als Zivilisten vom Hinterland : „Das Wohl des Vaterlandes erfordert, dass das Leben des Landes in seinen vielfältigen Formen nicht aufhört. Ihr werdet also einer Notwendigkeit nachkommen, und ihr werdet es mit Eifer tun.“

Regelmäßig und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wird Maurice Hauriou die Studentenschaft einberufen, um ihnen über den schrecklichen Alltag ihrer Kameraden, die Heldenhafte Taten der Gefallenen zu erzählen und so die Liste der Namen zu verlängern, die bereits im goldenen Buch stehen, das den Studenten der Fakultät gewidmet ist, die für Frankreich gestorben sind.

Tatsächlich gibt es in Frankreich mindestens 1,4 Millionen Tote, etwa 4,2 Millionen Verwundete, und die Fakultät musste fast von Anfang an einen hohen Tribut zahlen. Bereits am 24. August 1914 verzeichnete sie ihre ersten sechs Verluste bei der katastrophalen Grenzschlacht ; am selben Tag kommt ein Schwerverletzter hinzu, der in Gefangenschaft stirbt, ganz zu schweigen von Raymond Leygue, dem Sohn eines ehemaligen Bürgermeisters von Toulouse, der weit weg von Belgien oder Lothringen beim Angriff auf einen entfernten Posten in Deutsch-Kamerun in Äquatorialafrika getötet wird. Der letzte gestorbene der Fakultät, weniger als einen Monat vor dem Waffenstillstand, ist Leutnant Louis Buscon, der am 18. Oktober 1918 im Alter von 22 Jahren getötet wird. Mit 18 Jahre stirbt Gaëtan Sainctavit noch jünger. Er hatte gerade sein erstes Jahr im Jurastudium beendet, als der Krieg ausbrach. Als Minderjähriger gelang es ihm, von seinem Vater die Erlaubnis zu bekommen, und er verpflichtete sich sofort freiwillig. Am 1. Oktober 1914 eingegliedert, wird ihm im Alter von 19 Jahren, am 7. Dezember 1915 in der Champagne, „dem Kopf von Granatsplittern zerschmettert“, als er seinem 20-jährigen älteren Bruder, der ebenfalls freiwillig beim 11. Infanterieregiment anheuerte, Hilfe leistete. Prosper Faduilhe, 18 Jahre alt, kaum im ersten Jahr der licence (Bachelor) eingeschrieben, starb am 1.3 September 1915. Im Juni 1916 war er Unter-Leutnant geworden und beschrieben als „von bemerkenswerter Tapferkeit und Kaltblütigkeit, zweimal verwundet, mit der Militärmedaille ausgezeichnet, am 5. Juli 1916 in Verdun im Alter von 20 Jahren getötet, als er sich an die Spitze seiner Sektion stürzte, um einen deutschen Graben anzugreifen. Er wird posthum als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet“. Die Namen dieser Kämpfenden Studenten werden neben den anderen 222 Opfern des Ersten Weltkriegs auf der langen Liste stehen, die das Denkmal für die für Frankreich gefallenen Studenten der Fakultät enthält ; aber sie vergisst einige von ihnen, während andere bereits ihre Studien abgeschlossen hatten. Unter ihnen sind diejenigen, die kaum Zeit haben, das erworbene Diplom zu genießen ; zum Beispiel Joseph Jouard, der am 20. Juli 1914 eine licence der Rechtswissenschaften erhält und fast sofort den Leutnantsuniform im 18. Artillerie-Regiment anzieht, um zwei Monate später in Minaucourt bei der ersten Schlacht an der Marne zu sterben ; oder Abel Muratet, der die Doktorwürde der Rechtswissenschaften am 20. Juli 1914 erhält und als Unterleutnant des 238. Infanterie-Regiments am 23. Oktober im Departement Aisne getötet wird und von Hauriou gelobt wird.

Häufig stammen sie aus der mittleren oder sogar hohen Bourgeoisie und sind oft Söhne von Rechtsanwälten, Richtern, Notaren, Gerichtsvollziehern, Journalisten, Gutsbesitzern, höheren Offizieren oder hohen Beamten, wie Louis Eydoux, dessen Vater im August 1914 das 11. Armeekorps befehligt, oder etwa Marc Estèbe, dessen Vater Gouverneur der Kolonien war. Die aristokratischen Familien sind auch gut vertreten, um nur einige zu nennen, die Beaumont, die Rességuier, die Solages, die Prévost von Saint-Cyr. Auch André Hauriou, der 1918 an der Front durch besondere Taten glänzt und seinerseits Professor für Verwaltungsrecht wird, ist kein anderer als der Sohn des Dekans der Fakultät ; die getöteten Cousins Louis und Joseph Deloume, der erste am 25. und der zweite am 30. September 1915 im selben Sektor der Front in der Champagne, gehören einer echten Dynastie an, die von Jean-Baptiste Deloume (1786-1841), Professor für römisches Recht und Kriminalgesetzgebung an der juristischen Fakultät von Toulouse, und Antonin Deloume (1836-1911), ebenfalls 1878 Professor für römisches Recht und Dekan der Fakultät von 1900 bis 1906, vertreten wird. Denn wenn das Phänomen der sozialen Reproduktion, das Generation um Generation dazu führt, „sein Jura zu machen“, nicht mehr das ausschließliche Vorrecht der traditionellen sozialen Elite ist, sind Vertreter der weniger wohlhabenderen Klassen, wie Louis Graëff, dessen Vater Schuhmachermeister ist, immer noch relativ selten. Die überwiegende Mehrheit wurde in Toulouse, in der Haute-Garonne oder in einem nicht weit entfernten Departement geboren, wodurch man auch den letztendlich ziemlich begrenzten Einflussbereich der Fakultät messen kann. Abgesehen von den ausländischen Studenten gibt es also nur wenige, die außerhalb der Metropole geboren werden. Martinique, Tunesien und noch mehr Algerien sind jedoch vertreten, was manchmal an Einsätze der Väter in den damaligen Kolonien liegt ; so Pierre Loustau, geboren in Mostaganem und Sohn des Präsidenten des Hofes von Mascara oder Pierre Schenk, geboren in Tunis und dessen Vaters Berufsoffizier ist. In ihren Reihen befindet sich auch Gaston Monnerville, der aus der Guyana nach Toulouse gekommen war, um dort eine universitäre Ausbildung zu absolvieren. Er schreibt sich an der juristischen Fakultät im Jahr 1915 ein, erhält dort im Oktober 1918 die licence und wird bald Anwalt (2. Dezember 1918), dann Doktor der Rechtswissenschaften (1921), später Präsident des Rates der Republik (1947), Präsident des Senats (1958-1968), und schließlich Mitglied des Verfassungsrates (1974). Bei der Erbringung des Anwaltseid des jungen Gaston, beschreibt ihn ein ziemlich verächtlicher, und in jedem Fall wenig scharfsinniger Chronist der Gazette des Tribunal du Midi, wie folgt : „neben einem jungen Komilitonen seines Jahrgangs mit schlanker und blonder Silhouette […], setzt die braune und energische Maske von Herrn Monnerville, ein Kreole der Französisch Antillen, die es als eine Note von Exotik“. Und nachdem jeder der beiden abwechselnd das Wort ergriffen hatte : „Herr Monnerville, in einem etwas didaktischeren Ton, konnte auch […] das Rampenlicht genießen. Im übrigens verdient es diesen jungen und fleißige Kollege, der vielleicht eines Tages vor den Gerichten in Übersee zeigen wird, welch starker Prägung und welche kluge Lehre er von der Fakultät und der Anwaltskammer von Toulouse erhielt…“

Zweifelsohne werden die Professoren der juristischen Fakultät großzügiger gewesen sein, im Bewusstsein dessen, was das Land denen schuldet, die sich geopfert haben. Für Ludovic Valatx, der am 17. August 1916 in Arcachon an den Folgen einer an der Front erworbenen Krankheit stirbt, wird am 18. Dezember 1917 posthum eine Verteidigung seiner Doktorarbeit veranstaltet und ihn den Doktor der Rechtswissenschaften erteilt.

Die Studenten-Soldaten von Toulouse ihrerseits räumen in den Briefkorrespondenzen die sie mit dem Hinterland verbinden, ihren Heimatfakultäten oft einen wichtigen Platz ein. Als Beispiel dafür etwa den Brief von Henri Lescure vom Dezember 1914 und erneut vom Juli 1915, um den Tod zweier Mitschüler im Kampf anzukündigen an ; den Brief von Sébastien Bach, der am 12. Juli 1917 kurze Momente der Ruhe nutzt, um an den Dekan Hauriou zu schreiben, um den Empfang des Beitrags zu bestätigen, der im Rahmen des Abonnements am L’Echo du boyau (Zeitung der Soldaten des 214. Regiments) gezahlt wurde, wobei er die Gelegenheit nutzt, ihn über die Auswirkungen zu informieren, die der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf die Truppe hat, „vielleicht mit weniger Illusionen“. Da ist auch Jules Thabaut, der „in den Armeen im Oktober 1916“ die Abfassung von „Souvenirs de la Grande Guerre“ vollendete, die er, sobald sie 1917 veröffentlicht wurden, an den Dekan Hauriou mit einer Widmung richten wird ; sowie der Brief von Fernand Bastide, von dem man sich vorstellen kann, dass er allein die Gedanken seiner Kameraden zusammenfasst, wenn er in einem Brief, der 1916 an Professor César-Bru geschickt wurde, „die endlosen Nächte […] des vergangenen Winters“ erwähnt. In den Schützengräben, um sie mit schmerzlicher Sehnsucht mit den Erinnerungen an die glücklichen Zeiten zu verbinden, die er in den „Höfen der juristischen Fakultät von Toulouse“ verbrachte.

Olivier Devaux, Professor für Rechtsgeschichtet (Universität Toulouse-1-Capitole)


Literaturangaben

Barrera Caroline, Étudiants d’ailleurs. Histoire des étudiants étrangers, coloniaux et français de l’étranger de la Faculté de droit de Toulouse xixe siècle-1944), Presses du Centre universitaire Champollion, Albi, 2007.

Devaux Olivier, Garnier Florent, Ceux de la faculté : des juristes toulousains dans la Grande Guerre, « Étude d’histoire du droit et des idées politiques », no 24, Toulouse, France, Presses de l’université Toulouse-1-Capitole, 2017.

—, Mémoires de la Grande Guerre. Le Livre d’or de la faculté de droit de Toulouse, Toulouse, France, Presses de l’université Toulouse-1-Capitole, 2018.

Gazzaniga Jean-Louis, « Le barreau toulousain et la Gazette des tribunaux du Midi (1881-1930) : documents », dans Revue de la Société internationale d’histoire de la profession d’avocat, no 2, 1990, p. 103‑154.

Monnerville Gaston, Témoignage. Tome 1 : De la France équinoxiale au palais de Luxembourg, [Nombreux passages sur sa vie d’étudiant à Toulouse], Paris, France, Plon, 1975.