Das Recht stand im Mittelpunkt des Kampfes zwischen den Achsenmächten und den Entente-Mächten. Die französischen Juristen setzten all ihre rhetorischen Waffen ein, um die Werte der „lateinischen Zivilisation‟ gegenüber der „teutonischen Barbarei‟ zu verbreiten. Die Propaganda vom Krieg des Rechts gegen die Gewalt schürte den Hass und den Wunsch nach Rache an einem Feind, der seit seinem Sieg von 1870, der auf die angebliche Überlegenheit der deutschen Universitäten zurückgeführt wurde, ebenso gehasst wie bewundert wurde. Der Rechtskrieg, mit dem die kämpfenden Massen mobilisiert werden sollten, wurde zu einem ideologischen Gegensatz zwischen zwei Modellen mit Hegemonialanspruch, von denen das eine das „französische Genie‟ und das andere die deutsche „Kultur‟ hervorhob. In dieser Konfrontation von paroxysmaler Gewalt standen die Juristen an allen Fronten. Auch die bürgerlichen Eliten der juristischen Fakultäten, die in den Schützengräben eingesetzt wurden oder im Hinterland in den kriegführenden Behörden dienten, entgingen der allgemeinen Mobilisierung nicht. Diejenigen, die von der Wehrpflicht befreit waren, beteiligten sich ebenfalls an den Kriegsanstrengungen und gingen ihren Berufen als Rechtspraktiker, -lehrer oder -theoretiker nach. Die größten Namen unter den Meistern der Rechtsdogmatik arbeiteten daran, neutrale Mächte von der französischen Seite zu überzeugen. Die gesamte Gemeinschaft der Juristen wurde so an der Seite der Machthaber gegen die deutschen Invasoren eingesetzt. Als Ausdruck dieser Konfrontation zwischen dem kaiserlich-deutschen Rechtsmodell und dem der französischen Republik entwickelten international anerkannte Professoren des öffentlichen Rechts wie Duguit, Hauriou oder Carré de Malberg allgemeine Staatstheorien, um die demokratischen Grundlagen der Staatsmacht im Gegensatz zu den Theorien, die auf der anderen Seite des Rheins entwickelt wurden, zu bestimmen. Duguit zum Beispiel, dessen Hauptziel es war, die Macht des Staates durch das Recht zu begrenzen, widersetzte sich vehement den insbesondere von Jellinek entwickelten deutschen Konzepten der Selbstbeschränkung.
An der gemeinsamen Front des ideologischen Kampfes engagiert, gaben die akademischen Juristen implizit eine Vereinigung innerhalb ihrer Gemeinschaft zu und tendierten dazu, die Kontroversen zwischen ihnen, die treibende Kraft ihrer „Wissenschaft‟, zu vernachlässigen, um ihre Angriffe auf die Theorien ihrer feindlichen Kollegen zu konzentrieren. Die Professoren des deutschen Rechts, die im Reich hohes Ansehen genossen, wurden beschuldigt, dem Imperialismus die juristischen Waffen zu liefern, unter Missachtung aller internationalen Konventionen Gewalt zu propagieren und die schlimmsten Gräueltaten zu rechtfertigen, die auf dem Boden der überfallenen Gebiete begangen wurden. Vor dem Krieg sehr einflussreiche germanische Wissenschaftler wie Savigny, Jhering, Mommsen, Gerber und Laband wurden verunglimpft und ihre einst sehr angesehenen Theorien einhellig als Instrument der deutschen Barbarei verurteilt. In einer Zeit, in der der Sozialdarwinismus und die Rassentheorie von Spencer und Gobinot in den Köpfen der Intellektuellen noch sehr präsent waren, betonten zahlreiche Reden von Juristen und Rechtshistorikern die Gewalt und den verdorbenen Charakter der deutschen Mentalität, wie beispielsweise die Vorlesungen von Jacques Flach am Collège de France zwischen 1914 und 1919. Die deutsche Philosophie wird auch von französischen Juristen wie Duguit verunglimpft und bekämpft, etwa in einem Artikel mit dem Titel Rousseau, Kant und Hegel, die Genealogie des Kults der Allmacht des Staates. Der Antigermanismus war in der Öffentlichkeit so präsent, dass einige französische Juristen, wie beispielsweise Carré de Malberg, Angriffe ihrer eigenen Kollegen ausgesetzt waren, die in ihren Auffassungen Anzeichen deutschen Einflusses sahen.
Die brutale kriegerische Totalisierung der Gesellschaft veränderte die Ausübung der Macht radikal. Das Recht leidete unter dessen Folgen. Die republikanische Legalität veränderte sich unter dem Einfluss des durch den Konflikt hervorgerufenen Ausnahmezustands. Am Rande des verfassungsrechtlichen Rahmens wurde ein Kriegsrecht entwickelt, um den Aggressionen der deutschen Armee zu begegnen und den dringenden Bedürfnissen der Zivil- und Militärbevölkerung gerecht zu werden. Die Unvorhersehbarkeit des Krieges zwang Regierung und Parlament in den ersten Monaten des Kriegs dazu, zugunsten einer Militärdiktatur abzudanken.
Die republikanische Exekutive, die wieder in ihr Amt eingesetzt wurde, schränkte die Garantien gegen Willkür erheblich ein, indem sie regelrechte Kriegsgerichte einrichtete. Außerdem kontrollierte sie die Ausübung von Grundfreiheiten streng, indem sie eine präventive Pressezensur einführte und jede öffentliche Versammlung oder Demonstration verbot. Die Machtausübung wurde somit von Autoritarismus und empirischen rechtlichen Lösungen beherrscht, da die Regierung intensiv auf Gesetzesdekrete und Rundschreiben zurückgriff, um die Kriegsverwaltung zu organisieren. Der Staatsrat bekräftigte zwar seine Rolle bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Verwaltungsbehörden, räumte jedoch ein, dass das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auch eine Abweichung von den üblicherweise zugelassenen Rechtsgrundsätzen rechtfertigen könne. Dank seiner Rechtsprechungsgewalt mit dem Ziel, präzise Lösungen in einem, nicht vom geschriebenen Gesetzesrecht beherrschten Bereich, zu finden, unterstützte er den Staat bei seiner Rolle als Normgeber. Dies geschah indem er „Theorien‟ aufstellte, die die wichtigsten Grundsätze des Verwaltungsrechts begründeten. Die Zulassung der Unvorhersehbarkeit in öffentlichen Verträgen und die Anerkennung des Status der öffentlichen Dienstleistung für Unternehmen, die eine Aufgabe von allgemeinem Interesse wahrnehmen, symbolisierten diese Machtübernahme der Justiz beim Aufbau des Verwaltungsrechts.
Parallel zur Wiedererlangung der Macht der Exekutive über das Militär konnte sich allmählich ein Kriegsparlamentarismus durchsetzen, der die Handlungen der Armee und der Minister kontrollierte. Nachdem die Parlamentssitzungen während der ersten Monate des Kriegs verschoben worden waren, wurden sie ab 1915 wieder aufgenommen. Die Abgeordneten verabschiedeten zahlreiche Gesetze, die das tägliche Leben der Bevölkerung im Krieg erleichterten und die Rechte von Eingebürgerten aus Feindesländern einschränken sollten. Geheim organisierte Komitees führten sodann Untersuchungen über die tatsächliche Verwaltung der Staatsgeschäfte durch. Justizskandale um Korruption und Spionage in den höchsten Führungsetagen wurden von den politischen Parteien vor dem Hintergrund sozialer Paranoia instrumentalisiert. Die aufsehenerregendsten davon führten zur Verurteilung der Minister Malvy und Caillot durch den Senat, der damals als Hoher Gerichtshof fungierte.
Angesichts dieser Umwälzungen von bisher unbekanntem Ausmaß kommentierten und analysierten Juristen, hauptsächlich Rechtsprofessoren, die Entwicklungen des Rechts. Joseph Barthélemy, der vielleicht produktivste Publizist der Kriegszeit, berichtete in der Revue du droit public regelmäßig über die politischen Ereignisse, die die Gegebenheiten seines Fachs veränderten. Albert Wahl berichtete in der Revue trimestrielle de droit civil Tag für Tag über die Einzelheiten der zivilen Kriegsgesetzgebung. Juristen aller Fachgebiete bemühten sich in ähnlicher Weise, die durch den Konflikt ausgelösten Entwicklungen in ihren jeweiligen Gebieten zu erklären. In ihren Analysen fehlte es dabei jedoch nicht an Regierungskritik : So zögerte Joseph Barthélemy nicht, Kritik am Parlamentarismus zu äußern, den er schon immer abgelehnt hatte, oder die Widersprüche der Zensur festzustellen.
Die Zeit des Ersten Weltkriegs war daher für die Rechtsprofessoren, die sich mit allen zeitgenössischen rechtlichen Herausforderungen befassten, besonders intensiv. An der Front zum Kampf mobilisiert, im Hinterland zur Propaganda des Rechtskriegs eingesetzt, von der Regierung beauftragt, im Ausland Vorträge zu halten oder als technische Experten bei Ministerien und in internationalen Strukturen gefragt, waren die Rechtsprofessoren wichtige Mitspieler bei der Verteidigung der französischen Rechtsinteressen.
Nach vier schrecklichen Jahren wurde schließlich der Waffenstillstand zwischen den Delegierten unterzeichnet, doch Traumata und Hass blieben in den Köpfen der Regierung und Bevölkerung tief verwurzelt. Trotz des pazifistischen Vierzehn-Punkte-Programms von Präsident Wilson, welches von allen Kriegsparteien angenommen wurde, wollte Frankreich seinen Feinden die Last der menschlichen Opfer und wirtschaftlichen Verluste aufbürden. Der Vertrag von Versailles, der in einer Zeremonie unterzeichnet wurde, in der die deutschen Delegierten Sühne leisten sollten, stand unter dem Zeichen der von Frankreich gewollten Demütigung. Da Deutschland die von den Siegern geforderten enormen Summen nicht zahlen konnte und die wirtschaftliche und politische Krise ganz Europa erfasste, blieben die internationalen Beziehungen trotz der Gründung des Völkerbunds angespannt. Die Siegermächte organisierten einen gewaltsamen Frieden, indem sie die Gebiete der besiegten Mächte besetzten und die Kolonien und Protektorate, die unter ihrer Herrschaft standen, unter sich aufteilten. Trotz der fortgesetzten Kriegslogik setzten sich Völkerrechtler, die sich bereits während des Konflikts stark gegen Verletzungen des humanitären Rechts engagiert hatten, für die Schaffung eines Weltfriedens ein. So nahm beispielweise Georges Scelle, als von der Regierung delegierter Experte, an den Friedenskonferenzen teil. Zahlreiche Gesellschaften, in denen sich Völkerrechtler zusammengeschlossen haben, setzen die Bemühungen um eine Stärkung und Vereinheitlichung der internationalen Normen fort und förderten die Idee eines europäischen und weltweiten Bewusstseins, das Souveränitäten überwindet.
Nach dem Krieg gewannen die theoretischen Auseinandersetzungen in der Rechtswissenschaft an Intensität. Das Recht, das zuvor als Identitätssymbol der von Frankreich geführten zivilisatorischen Mission galt, hatte sich unter dem Einfluss des Ausnahmezustands stark verändert. Die traditionellen individualistischen und legalistischen Dogmen, die auf die Französische Revolution und die napoleonischen Gesetzbücher zurückgingen und bereits um die Jahrhundertwende erste Risse zeigten, zerbrachen nun unter dem Druck von Willkür, praktischen Erfordernissen und den sozialen Bedürfnissen der Kriegszeit. Das Recht löste sich zunehmend von den Gesetzbüchern und entstand verstärkt in der Rechtsprechung, im Gewohnheitsrecht sowie innerhalb von Gruppen und Institutionen. Dieses Phänomen, das schon vor dem Krieg beobachtet und diskutiert worden war, nahm weiter zu. Die Exekutive ging hingegen gestärkt aus der kriegerischen Prüfung hervor. Die Verwendung von Gesetzesdekreten, Verordnungen und Rundschreiben wurde zunehmend üblich und für die Verwaltung des Staatsapparats unverzichtbar, was die Vielfalt der Rechtsquellen weiter vergrößerte.
Die soziale Frage, die während des Konflikts durch Unterdrückung erstickt worden war, tauchte im Nachkriegseuropa mit Gewalt wieder auf. Die Proletarier aller Länder, die von den schwierigen Lebensbedingungen nach dem Krieg und den Opfern, die ihnen von den immer noch autoritären Regierungen abverlangt wurden, erschöpft waren, erhoben sich. Sie forderten mehr Gerechtigkeit und Gleichheit. Die kommunistischen Ideale, die in der bolschewistischen Revolution von 1917 verkündet wurden, griffen auf die Arbeiterschaft über. In ganz Frankreich brachen große Streiks aus und revolutionäre kommunistische Gruppierungen formierten sich mit dem Ziel, die herrschende Macht zu stürzen ähnlich wie die Spartakusbewegung in der jungen Weimarer Republik. Obwohl die Forderungen der Arbeiterklasse gewaltsam unterdrückt wurden, hörte die herrschende Bourgeoisie, die zunehmend Angst vor der „roten Gefahr‟ hatte, ihnen schließlich zu. Die Gewerkschaftsbewegung machte Fortschritte. Die Arbeitszeit wurde verkürzt, der Sozialschutz verbessert, und Arbeiterdelegierte konnten sich bei internationalen Friedenskonferenzen Gehör verschaffen. Unter der Ägide des Völkerbundes wurde eine internationale Arbeitsorganisation gegründet, die ein neues Sozialmodell verbreiten, die Interessen der Arbeitnehmer schützen und sich für den Fortbestand der sozialen Errungenschaften einsetzen sollte. Die Juristen des Industrierechts, als Vorläufer des Arbeitsrechts, wurden zu den treibenden Kräften hinter der Sozialisierung des Rechts. In Frankreich scharte sich in Lyon eine fortschrittliche Gruppe von Professoren wie Emmanuel Levy und Paul Pic um sozialistische Persönlichkeiten wie Edouard Herriot und Albert Thomas, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Unterschicht einsetzten.
Angesichts dieser zunehmenden Komplexität der sozialen und rechtlichen Phänomene überdenkt die Rechtswissenschaft, als Gemeinschaft der denkenden und theoretisierenden Juristen, ihre Methoden, während sie gleichzeitig nach Erklärungen sucht, die ein durch den Krieg zersplittertes Recht legitimieren können. Als gelehrte Quelle des Rechts und Vermächtnis der Rechtsgelehrten des antiken Roms trägt die Rechtswissenschaft zu den Bemühungen bei, Gesetze, Regierungs- und Verwaltungsakte sowie die Rechtsprechung zu verstehen und zu systematisieren. Ihre Mitglieder sind im Wesentlichen Dozenten der juristischen Fakultäten, wobei sich die Universitätsdoktrin von der organischen Doktrin unterscheidet. Letztere besteht aus Juristen, welche Mitglieder der Gerichts- oder Verwaltungsgerichte sind. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Auslegung der napoleonischen Gesetzbücher beruhende rechtswissenschaftliche Methode, welche die Professoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs nahmen Juristen wie Esmein, Saleilles und Lambert historische, soziologische und rechtsvergleichende Daten auf, um die exegetischen Methoden an die neuen sozialen Realitäten anzupassen, die durch Industrialisierung, technischen Fortschritt und die Entwicklungen im Maschinenbau entstanden waren. Die Debatten dieser wegweisenden Juristen, denen es gelang, die formale Darstellung und den Unterricht des Rechts zu erneuern, hallten auch nach dem Ende des Kriegs nach. Die Professoren gewannen den nötigen Abstand, um die tiefgreifenden Veränderungen des Rechts in allen Rechtsbereichen zu beurteilen. Die Rechtswissenschaft ist sich ihrer wichtigen Rolle bei der Darstellung und Analyse der verschiedenen Rechtsquellen bewusst und bildet sich als einheitliches System, das logische Prinzipien bereitstellt, auf denen die komplexe Realität des Rechts basiert. Akademische Juristen gründen ihre Analyse des Rechts auf umfassenden Rechtsgrundsätzen, die in juristischen Abhandlungen und Lehrbüchern entwickelt werden. Diese dogmatische Methode, die die verschiedenen konkreten Lösungen nach einem logischen und rationalen Plan unter allgemeinen Theorien zusammenfasst, wird sich in der Nachkriegszeit in allen Werken von Rechtsprofessoren durchsetzen.
Die politische Instrumentalisierung und die empirische Ausarbeitung des Rechts erschütterten die Grundlagen, auf denen das Rechtsgebäude beruhte. In den 1920er Jahren war die Rechtswissenschaft gespalten zwischen Realisten, deren Methoden auf der Untersuchung des positiven Rechts ohne metaphysische Fragen basierten, und Idealisten, die eine Wiederbelebung des Naturrechts oder eine christliche Moral befürworteten, die über die positiven Normen hinausging. Aus diesem Gegensatz ergaben sich zahlreiche Kontroversen zwischen Juristen, die eine objektive Sicht auf das Recht und eine Sozialisierung des Rechts vertraten, und denen, die dem Rechtssubjektivismus anhingen und den traditionellen Grundsätzen des liberalen Individualismus treu blieben. Trotz dieser Unterschiede, die die politischen und religiösen Überzeugungen hinter den theoretischen Konzepten offenbarten, und die Ziele von Neutralität und Wissenschaftlichkeit anstrebten, beanspruchten jedoch alle Rechtsprofessoren, Positivisten zu sein. In der Nachkriegszeit stellte sich nicht mehr die Frage, ob eine Methode, die auf Tatsachen und sozialen Realitäten basiert, revidiert werden sollte. Die Rechtswissenschaft konzentrierte sich jetzt auf die Systematisierung und Ordnung aller juristischen Fakten, aus denen sie allgemeine Grundsätze ableitete. Sie basierte nicht mehr auf Prinzipien, die aus Gesetzbüchern abgeleitet und dann interpretiert werden, um sie mit positiven Lösungen in Einklang zu bringen.
Da es Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, Rechtsgrundsätze abzuleiten, die die Komplexität der konkreten Lösungen ordnen können, setzte sie sich für die Verbesserung dieser Technik ein, indem sie die Begriffe des Rechtsvokabulars klärte. Dabei ist festzustellen, dass die semantischen Konstruktionen der Rechtssprache nach dem Krieg insofern unklar blieben, als sie die Meinungs- und Philosophieunterschiede zwischen den verschiedenen Denkrichtungen, denen die Rechtsprofessoren angehörten, widerspiegelten. Ein und derselbe Fachbegriff wurde polysem und je nach Verwendung durch den einen oder anderen Juristen unterschiedlich definiert. Wortgefechte durchdrungen so die theoretischen Konstruktionen und verwirrten die Bedeutung der juristischen Konzepte. So ist das Bestreben, die Rechtssprache zu erneuern, bei Autoren wie Henri Capitant zu erkennen, der unter anderem mit Henri Lévy-Bruhl an der Ausarbeitung eines Vocabulaire juridique (juristische Vokabular) arbeitete. So auch bei René Capitant, der wie sein Vater ein besonderes Interesse an der Sprache des Rechts hatte. In seiner 1928 verteidigten Doktorarbeit mit dem Titel Introduction à l’étude de l’illicite : l’impératif juridique verfolgte Capitant in der Tat das Ziel, „die terminologischen Verwirrungen zu zerstreuen, die seit mehr als zwanzig Jahren eine gegenstandslose Auseinandersetzung verlängern und die wahren Probleme verdecken‟. Seine Studie beschäftigt sich, wie er schreibt, damit, „auf alle Begriffe der praktischen Rechtssprache Bezug zu nehmen, ihnen jeweils einen Platz zuzuweisen und ihre Bedeutung mit der Sorge und dem Gefühl zu erläutern, sie nicht zu verzerren‟. Mit dieser Arbeit glaubte der junge Professor, dass es ihm gelungen sei, den Gegensatz zwischen Objektivismus und Subjektivismus durch eine „vollständige Systematisierung‟ des Rechts „in Bezug auf den ersten Begriff der Rechtsregel oder des rechtlichen Imperativs‟ zu überwinden.
Beeinflusst vom keltischen Normativismus, übernahm die Rechtslehre die pyramidenförmige Struktur der Rechtsregeln in vielen ihrer theoretischen Konzepte. Dadurch entstand ein gemischtes positivistisches System, das objektive Vorstellungen – wonach der Staat an der Spitze des Rechts steht – und subjektive Vorstellungen – wonach der Staat die individuellen Rechte schützen muss – miteinander verbindet. Die Rechtswissenschaft entfernte sich allmählich von den grundlegenden Überlegungen und konzentrierte sich stattdessen auf die Entwicklung von Theorien, die für Praktiker verständlich sind. Sie etablierte sich in einem technizistischen Positivismus, der ihre Funktion als logische Ordnung der Rechtsregeln legitimiert und ihre Autorität sowie ihren Einfluss als akademische Quelle des Rechts stärkt. Der Krieg hat dazu beigetragen, dass eine Rechtswissenschaft entstand, die sich ihrer wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten sicher ist, aber zunehmend gegenüber den Beiträgen anderer Sozialwissenschaften zur Erklärung juristischer Phänomene verschlossen bleibt.
Um ihre Rolle als einflussreiche Kraft zu legitimieren, entwickelte die Rechtswissenschaft ihre Identität, indem sie ihre eigene Geschichte gestaltete und ihre Sprache sowie Techniken verfeinerte. Bereits 1919 blickte Bonnecase auf die Entwicklungen des Rechtsdenkens seit 1804 zurück und analysierte, wie es der Rechtswissenschaft gelungen war, sich von der Auslegung der Gesetzbücher zu lösen. Indem sie die Methoden ihrer Vorgänger verurteilten, die angeblich das Recht nur auf die wörtliche Auslegung des Gesetzes stützten, legitimierten die akademischen Juristen die Gründung einer neuen wissenschaftlichen Schule, die die exegetische Schule ablösen sollte. Über den Streit um die Rechtsquellen hinaus erkannte die Lehre die schöpferische Kraft des Richters an und legitimierte dessen Rolle als Interpret sowie seine Meinungsmacht, die als neutral und rational gelten soll. Der Krieg bestärkte diese Machtübernahme in der Analyse der Rechtsentwicklung. Obwohl die Geschichtsschreibung immer noch von einem „Moment 1900‟ spricht, der die Erneuerung der Rechtswissenschaft ermöglichte, zeigen sich die charakteristischen Merkmale dieser von Juristen dominierten Wissenschaft erst in der Nachkriegszeit wirklich.
Antoine Sené, Doktorand der Rechtsgeschichte (Universität Bordeaux)
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