Die Wahrnehmung der deutschen Wissenschaft an der Universität von Bordeaux während des Ersten Weltkriegs


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Am 8. Dezember 1870 empfing Bordeaux, eine Provinzstadt abseits der Kämpfe zwischen Frankreich und den deutschen Mächten, die Regierungsdelegation für zwei Monate in ihren Mauern. Die große Distanz zu der Front war von Vorteil, sowie die guten Beziehungen zu England, die es Bordeaux ermöglichten, benötigtes Kriegsmaterial zu beschaffen. In dieser Zeit öffnete die juristische Fakultät von Bordeaux – die „große Vergessene‟ der napoleonischen Reichsuniversität – wieder ihre Räumlichkeiten nach fast einem Jahrhundert völligen Leerstands von 1792 bis 1870, obwohl die Anwaltskammer von Bordeaux wiederholt um ihre Wiedereröffnung gebeten hatte. Sie nimmt ihre Aufgaben jedoch erst Mitte 1871, also lange nach dem Abzug der Regierung, wirklich wahr.

Der Krieg von 1870 entwickelte sich für Frankreich schnell zu einer schweren Niederlage. Im Gegensatz dazu ging das von Preußen dominierte Zweite Reich als Sieger aus dem Krieg hervor und wurde zu einem Vorbild für ganz Europa, insbesondere im Bereich der Wissenschaft. Die französische Rechtswissenschaft wurde folglich durch die Schwächung des nationalen kulturellen Einflusses stark beeinträchtigt. Die umgekehrte Situation war zu Beginn des Jahrhunderts eingetreten, als Napoleon Bonaparte nach seinem kurzen Feldzug in Preußen und Polen (1806-1807) versuchte, seinen Code civil in allen deutschen Gebieten durchzusetzen. Als Reaktion darauf wandten sich die Rechtsromantik und der deutsche Nationalismus, die insbesondere in den Arbeiten der Deutschen Historischen Schule von Friedrich Carl von Savigny spürbar wurden, gegen den Universalismus und Rationalismus der französischen Aufklärung, die ihrer Meinung nach im Code Napoléon zum Ausdruck kamen. Am Ende des Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die deutsche Wissenschaft zum Vorbild für Strenge und Realismus, als 1900 das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingeführt wurde. In Frankreich wurde das Universitätsmodell als mitverantwortlich für die Niederlage von 1870 angesehen. Viele französische Juristen wie Aubry und Rau ließen sich daher von deutschen Werken inspirieren. Der französische Jurist Henri Capitant beispielsweise hält die deutsche Rechtsklassifikation für die einfachste und logischste, die es geben kann (Introduction à l’étude du droit, 1898). Die Lage ändert sich jedoch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Am 4. August 1914 setzt der deutsche Generalstabschef Helmut von Moltke den Schlieffen-Plan um. Frankreich scheitert seinerseits mit seinem Manöver Plan XVII. Auf der gesamten Frontlinie ziehen sich die französischen, belgischen und britischen Soldaten zurück. Ende August ist der deutsche Vormarsch so stark, dass ein Angriff auf die Hauptstadt unmittelbar bevorzustehen scheint. Dies führte zu einer überstürzten Abreise der französischen Regierung, die Paris zwischen dem 29. August und dem 2. September verließ, um sich in Bordeaux niederzulassen. Anfang September 1914 zogen alle Ministerien und Parlamentarier in die Stadt im Südwesten Frankreichs und bald darauf auch die Präsidentschaft der Republik. Um sie so menschenwürdig wie möglich unterzubringen, wurden öffentliche Gebäude beschlagnahmt, darunter auch die juristische Fakultät, in der das Ministerium für öffentliche Bildung untergebracht wurde. Das Kriegsministerium bezog die Räumlichkeiten der Philosophischen Fakultät. Da das Unterrichtsministerium im Gegensatz zum Kriegsministerium nur mit einer geringen Anzahl von Mitarbeitern ankam, wurde das Personal der Philosophischen Fakultät in die juristische Fakultät verlegt. Das Finanzministerium zog in die Räumlichkeiten der Fakultät für Medizin und Pharmazie um. Der Staatsrat hielt seine Sitzungen in einem Konzertsaal ab. Die Universität Bordeaux wurde somit zum bevorzugten Schauplatz für die Begegnung zwischen deutschen Wissenschaften und französischen Akademikern, da der kurze Aufenthalt der Regierung in der Stadt indirekt Beziehungen und Absprachen erleichterte.

Eine dieser Absprachen lässt sich aus der Lektüre der Sitzungen der Bibliothekskommission erkennen, insbesondere aus der Sitzung vom 24. März 1916. Der Bibliothekar berichtet dort von einem Schreiben des Finanzministers vom 21. März an den Rektor, welche die Aufhebung des Verbots der Einfuhr von Büchern österreichisch-deutscher Herkunft „für große wissenschaftliche Einrichtungen‟ zum Ziel hatte. Er weist jedoch darauf hin, dass dies nur unter sehr genauen Bedingungen geschehen könne, die in dem besagten Schreiben erwähnt werden. Zeitschriften bleiben trotz dieser Genehmigung für Bücher verboten. Es wird auch darauf hingewiesen, dass der Betrag für diese jährlichen Anschaffungen für das Jahr 1916 auf 1.000 Francs (oder 2.600 €) geschätzt wird, eine Summe, die mit der des Vorjahres identisch ist. Der Ausschuss diskutierte also über diese Importe von Werken aus dem feindlichen Lager, die implizierten, den Gegner zu bezahlen und ihn somit in seinem bewaffneten Kampf finanziell zu unterstützen. Diese Gewissensfrage ist umso heikler, als die Preise für diese Anschaffungen ständig steigen und die allgemeinen Budgets der Fakultäten für die kommenden Jahre rückläufig geplant sind. Diese moralische und patriotische Sorge wird jedoch während des Konflikts übertroffen, da in demselben Register in einer Sitzung vom 23. November 1917 angegeben wird, dass die für den jährlichen Erwerb von Werken bewilligte Summe auf etwas mehr als 1.100 Franken erhöht wird. Wenn die Summe damals höher war als zu Beginn des Konflikts, so war dies auf den kontinuierlichen Wertverlust des Frankens zurückzuführen, der zwischen 1916 und 1917 um 15  % sank. Im Namen mehrerer Professoren der juristischen Fakultät äußerte der Vorsitzende der Kommission, Herr de Boeck, den Wunsch, die Abonnements für deutsch-österreichische Zeitschriften zu erneuern, obwohl der Minister dies zu Beginn des Konflikts verboten hatte. Dieser Antrag zeigt das große Interesse der französischen Lehrer, genaue und aktuelle Kenntnisse über die deutsche Wissenschaft zu erwerben und gleichzeitig die Authentizität der Quellen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ließen die Lehrer durch Herrn de Boeck auch verlauten, dass man auf die Hilfe der französischen Botschaft in Bern zählen könne, auch wenn der Austausch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sei. Dies läge zum einen daran, dass der Vermittler eine Vorauszahlung verlange, und zum anderen, dass der Erwerb durch ungünstige Wechselkurse für einen französischen Käufer belastet werde. In diesem Register wird auch hinzugefügt, dass diese Vereinbarung nur zu einer inoffiziellen Zustimmung des Außenministers geführt hat.

Was die Kriegsanstrengungen auf militärischer Ebene betrifft, so wurde ab dem 1. August in allen großen Städten Frankreichs der Befehl zur allgemeinen Mobilmachung ausgehängt. Die Räumlichkeiten der juristischen Fakultät in Bordeaux wurden am nächsten Tag von einer Militärkompanie beschlagnahmt, die dort Quartier bezog, bevor sie mit den anderen mobilisierten Soldaten an die Grenze zog. Am 2. August zogen Kolonialbataillone in die Räumlichkeiten der philosophischen Fakultät in Bordeaux ein, bevor sie am 15. August durch Zouave-Bataillone aus Marokko ersetzt wurden. Im Jahr 1914 betrug die Zahl der Studierenden an der juristischen Fakultät nur noch ein Fünftel der Vorjahreszahl. Sie war von 1600 Studenten im Jahr 1913 auf 320 gesunken. Doch auf nationaler Ebene gab es trotz dieses Rückgangs der Studierendenzahlen nicht mehr genügend Lehrkräfte. Einige Städte hatten darunter zu leiden, wie z.B. Lille, wo nur vier der 16 Lehrkräfte für den Studienbeginn anwesend waren. In Bordeaux meldete sich Professor Gustave Chéneaux sogar freiwillig, obwohl er Anspruch auf eine Freistellung hatte. Der aus Martinique stammende Lehrer war seit 30 Jahren nicht mehr auf seiner Insel gewesen, da ihm das Geld für die Reise fehlte. Als er es im Sommer 1914 endlich schaffte, erfuhr er, dass Frankreich in den Krieg eintrat. Er ging an Land und reiste sofort wieder ab, nachdem er seine Mutter wiedergesehen hatte, um sich zu verpflichten. Er starb am 20. April 1915 in der Schlacht von Les Éparges, einem strategischen Verteidigungsabschnitt für Verdun, durch einen Schuss in die Stirn. Sein Tod wurde von Léon Duguit in der Revue philomathique vom Oktober-Dezember 1920 gewürdigt. Auch einige Lehrer aus Bordeaux, die im Hinterland geblieben waren, verloren einen Sohn. Dies war der Fall bei Dekan Henri Monnier und seinem Beisitzer Léon Duguit. Duguit verlor seinen ältesten Sohn in Verdun, während Henri Monnier, ein Veteran des Krieges von 1870, seinen Sohn sterben sah, der trotz einer Verletzung, die ihn zur Rückkehr nach Hause veranlasste, noch vor dem Waffenstillstand an der Spanischen Grippe erkrankte. Schließlich erschüttert der Krieg auch das Leben im Hinterland, innerhalb der Fakultäten. Einige Professoren beteiligen sich an den Kriegsanstrengungen durch eine aktivere akademische und staatsbürgerliche Tätigkeit, indem sie neben ihrer Lehrtätigkeit auch administratives Engagement zeigen. Dies gilt beispielsweise für den Professor für öffentliches Recht Léon Duguit, der während des gesamten Konflikts das provisorische Militärkrankenhaus in der Rue Ségalier betreute.

Parallel zu diesem militärischen Konflikt findet ein Kampf auf intellektueller Ebene statt. Die deutsche Wissenschaft erscheint seit Beginn des Konflikts im akademischen und intellektuellen Milieu Frankreichs als „der Feind, den es zu vernichten gilt‟. Zwar scheint die deutsche Rechtswissenschaft seit der Dritten Republik unumgänglich zu sein, doch versucht diese, die Bildung zu einem patriotischen Anliegen ersten Ranges zu machen, wie beispielsweise die Ferry-Gesetze von 1881-1882 belegen. Die Wissenschaft und die wissenschaftliche Methode entwickelten sich also weiter. Dies kann durch die Zunahme der „Agrégation de Droit‟ mit der Abtrennung des Wettbewerbs 1896 oder die Gründung der „École libre de sciences politiques‟ durch Émile Boutmy im Jahr 1872 belegt werden. In diesem Kontext entstanden und entwickelten sich auch die vergleichende Methode und das vergleichende Recht, z.B. durch die Arbeiten von Édouard Lambert. Das Ziel bestand zunächst darin, die Wunden der Niederlage von 1870 zu heilen und sich von dem Trauma zu erholen, welches sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatte. Während es im akademischen Bereich zunächst darum ging, sich an der deutschen Methode zu orientieren, ging es den Lehrern der Sekundarstufe, den „schwarzen Husaren der Republik‟, jedoch mehr darum, den Nationalstolz zu wecken und den Geist der Revanche zu pflegen. Im Zuge des Konflikts bewegte sich die gesamte Lehrerschaft, sowohl die Sekundar- als auch die Universitätslehrerschaft, in eine gemeinsame Richtung, d.h. in eine erbitterte Opposition zum deutschen Modell.

Ab 1914 entwickelte sich die Idee einer Rechtskultur „à la française‟. Da die Opposition gegen die deutsche Wissenschaft und ihre Methode systematisch wird, trägt sie paradoxerweise dazu bei, dass die französischen Autoren ihre Kenntnisse der gegnerischen Wissenschaft noch weiter vertiefen, um sie besser bekämpfen zu können. Nun spielt die Universität Bordeaux hier eine herausragende Rolle in diesem ideologischen Kampf, nicht zuletzt wegen der Anwesenheit des germanophilen Léon Duguit. Vor dem Weltkrieg hatte der Professor für öffentliches Recht in Bordeaux geschrieben, dass das BGB und die französische Rechtsprechung Modelle für die „Wissenschaftlichkeit‟ des Rechts seien, die in der Praxis „zahlreiche und große Vorteile‟ gegenüber der alten interpretativen Methode hätten. Zu seinem Widerstand gegen den Individualismus des Code gesellte sich jedoch auch eine scharfe Kritik an der Fiktionstheorie, die von dem preußischen Juristen Savigny formuliert worden war. Dieser Protest verschärfte sich mit seinem Artikel Jean-Jacques Rousseau, Kant und Hegel – Kants politische und juristische Doktrin (1918), in dem er sich gegen die von Jhering und Jellinek vertretenen Prinzipien der „juristischen Fiktion‟ und der Selbstbeschränkung des Staates wandte. Letztere definieren das Recht als die Zusammenfassung der Regeln des Staates, wodurch seine Verbindlichkeit garantiert wird. Nun trägt diese „Faszination‟ des Staates im deutschen Diskurs nach Ansicht des Juristen aus Bordeaux dazu bei, ihn zu einer gefährlichen Waffe gegen das Recht zu machen. Hegel habe die lutherischen Konzepte des „gerechten Krieges‟ und der „Heilsgeschichte‟ zugunsten einer Doktrin der Staatsmacht systematisiert.

Schließlich und zum Abschluss der Elemente, die die Universität Bordeaux zu einem bevorzugten Ort in diesem ideologischen Konflikt machen, bleiben noch zwei Namen von Akademikern aus Bordeaux zu erwähnen, die zwar nicht zum Kreis der juristischen Studie im engeren Sinne gehörten, dieser aber dennoch nahestanden. Es handelt sich um Émile Durkheim und Pierre Duhem, zwei enge Vertraute von Léon Duguit. Beide waren in der Tat besonders kritisch gegenüber den deutschen wissenschaftlichen Theorien. Der Soziologe Durkheim, der seinen ersten Soziologiekurs 1888 an der Philosophischen Fakultät von Bordeaux hielt, nachdem die juristische Fakultät sich geweigert hatte, ihn aufzunehmen, beeinflusste den Juristen Léon Duguit stark, der ab 1891 in einem Seminar seine Vorstellungen von Soziologie in die Praxis umsetzte. Durkheim stellt dann in seinem Werk „L’Allemagne au-dessus de tout‟, La mentalité allemande et la guerre (1915), die deutsche Wissenschaft als allein verantwortlich für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges dar. Tatsächlich war es der übersteigerte Nationalismus, der die heftige Feindseligkeit gegenüber den Nachbarmächten verursachte. Die deutsche Wissenschaft leide an einer tiefen Krankheit : Sie sei „krank an ihrem Willen, weil sie den Idealismus in missbräuchlicher Weise betreibt‟. Wie sein juristischer Freund Duguit kritisiert er offen dieses ideologische Modell, das den Staat zu einem über dem Gesetz stehenden Organ macht, dessen Souveränität grenzenlos und dessen Natur selbstgenügsam ist. Dieser Staat hängt dann von einer Vielzahl von „moralischen Kräften‟ ab, die er als gefährlich anprangert, da alles, was über ihm steht, für ihn unerträglich ist. Er personifiziert diesen Staat, indem er ihn als „empfindlich, ja sogar zornig, [sogar] eifersüchtig‟ darstellt. So handelt dieser Staat ohne wirksame Schranken oder Grenzen unter der Ägide politischer Moralgesetze, die vom Soziologen als „zu lebhaft der Ehre‟ und als Prinzipien „der Etikette‟ dargestellt werden. In dieser Logik erscheint der Krieg nicht nur als unvermeidlich und unausweichlich also, sondern wird moralisch und heilig, indem er dazu dient, die vielfältigen Affronts zu rächen, die hier als in Wirklichkeit nach menschlichen Maßstäben lächerlich und unbedeutend dargestellt werden. In diesem Denkschema wird der Staat als „eine herrschsüchtige und ehrgeizige Persönlichkeit, die auf jede noch so scheinbare Unterwerfung ungeduldig wartet‟ beschrieben.

Der Physiker, Chemiker und Historiker Pierre Duhem, ein gläubiger Katholik, der den nationalistischen Kreisen der Action française nahestand, griff in seinem Buch La science allemande (Die deutsche Wissenschaft) die deutsche wissenschaftliche Methode scharf an und wiederholte darin die Vorlesungen, die er Anfang 1915 in Bordeaux unter der Schirmherrschaft der katholischen Studentenvereinigung der Universität gehalten hatte. Obwohl Duhem ein erbitterter Gegner der Dritten Republik war, beteiligte er sich an dem ideologischen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland, indem er sich in die Reihe der französischen Intellektuellen einreihte, die sich an der Union sacrée beteiligten. Duhem beschreibt die deutschen Wissenschaftler als Menschen, die zwar über eine starke Denk- und Kombinationsfähigkeit verfügen, aber vor allem nicht in der Lage sind, auf ihre Intuition zurückzugreifen – im Gegensatz zu den französischen Intellektuellen, für die dies eine der wichtigsten Stärken ist. In diesem karikaturistischen Ansatz stellt er den deutschen Wissenschaftler als „geduldig, [ignoriert] fieberhafte Übereilung‟ und als fähig dar, „eine lange Kette von Argumenten zu schmieden, deren einzelne Glieder sorgfältig geprüft wurden, [und] mit makelloser Strenge zu folgern‟. Dieses Lob wird jedoch schnell relativiert, da er Hegel und der deutschen Wissenschaft im Allgemeinen Folgendes hinzufügt : „Was hier zu bemerken ist, ist nicht, dass ein Hegel unter den Deutschen gefunden wurde ; zu allen Zeiten und unter allen Völkern gibt es unglückliche Wahnsinnige, die endlos über absurde Prinzipien räsonieren. Schlimm ist, dass die deutschen Universitäten, anstatt den Hegelianismus für den Traum eines Wahnsinnigen zu halten, dort mit Begeisterung eine Lehre begrüßten, deren Glanz alle Philosophien Platons oder Aristoteles’, Descartes’ oder Leibniz’ in den Schatten stellte. Die übertriebene Vorliebe für die deduktive Methode, die Verachtung des gesunden Menschenverstandes, haben das denkende Deutschland wirklich dem Haus der Chrysalus ganz ähnlich gemacht ; die Argumentation hat die Vernunft daraus verbannt.‟ (La science allemande, 1915).

Insgesamt ist die Beziehung zwischen der deutschen und der französischen Rechtswissenschaft während des gesamten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie eine unmögliche Liebe, die den Romanen dieser Zeit würdig ist. Die beiden großen kontinentalen Mächte „brauchten‟ nämlich ständig den jeweils anderen, mal als Vorbild, mal als inneren Widersacher, um sich selbst (wieder) aufzubauen oder ihre Originalität oder gar Überlegenheit zu beweisen. So bildeten sie ein in Europa einzigartiges Duo. Dies war auch während des Ersten Weltkriegs der Fall, als die Juristen aus Bordeaux zu nicht zu vernachlässigenden Akteuren an der „Front des Rechts‟ wurden. Allerdings waren die französischen Juristen manchmal nicht objektiv genug, als sie einen so starken Hass auf die deutsche Wissenschaft entwickelten, um zu beweisen, dass sie das genaue Gegenteil davon waren. Dieser Hass, der seine Rechtfertigung in den Schrecken des Krieges fand, verbarg jedoch trotz allem einen tiefen Respekt, der zwar unausgesprochen blieb, aber eine unvermeidliche Folge der tiefen vorherigen Einflüsse war. Dieses Gefühl können wir in den karikaturistischen Porträts deutscher Wissenschaftler oder auch in der Forderung der Professoren aus Bordeaux, die neuesten Arbeiten ihrer Gegner „um jeden Preis‟ zu erhalten, wiedererkennen. Wie der französische Romanautor und Politiker Alphonse Esquiros schrieb : „Hass ist immer noch Liebe, aber es ist verbitterte Liebe‟ (Histoire des Montagnards, 1847).

Nicolas Llesta Ferran, Doktorand (Universität Bordeaux)


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Université de Bordeaux,« Registre des délibérations de la Commission de la bibliothèque universitaire de Bordeaux » (instituée par l’arrêté du 20 novembre 1886).